Atomkosten-Poker wird vertagt

Berlin · Beim Ringen um eine Lösung zur Finanzierung des Atomausstiegs bleibt nicht mehr viel Zeit. Es muss endlich Klarheit her – auch für die Konzerne. Diese Auffassung vertritt Professor Uwe Leprich, wissenschaftlicher Leiter des Saarbrücker Instituts für Zukunfts-Energie-Systeme (IZES). Das Gespräch mit ihm führte SZ-Redakteur Lothar Warscheid.

Im Ringen um eine Lösung zur Finanzierung des Atomausstiegs braucht die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission mehr Zeit. Es seien noch Sachfragen offen, teilte das Wirtschaftsministerium nach einem Gespräch der drei Kommissionsvorsitzenden mit Vertretern der Energiekonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall mit. Deshalb wollten die Vorsitzenden der Kommission bei ihrer heutigen Sitzung vorschlagen, "ihre Arbeit fortzusetzen", hieß es in der Mitteilung.

Eigentlich wollte das Gremium bis Ende Februar seinen Abschlussbericht mit einem Vorschlag vorlegen, wie die Rückstellungen der vier Konzerne für Abriss und Endlagerung des Atommülls von rund 38,5 Milliarden Euro langfristig gesichert werden können. Zuletzt war deutlich geworden, dass die Unternehmen noch zögern, sich auf ein Gesamtpaket für einen "Entsorgungskonsens" einzulassen. Die einstigen Stromriesen Eon und RWE sind wirtschaftlich schwer angeschlagen, auch weil sie die Energiewende mit dem Ökostrom-Boom lange verschliefen.

Zuletzt war aus Verhandlungskreisen durchgesickert, dass die Konzerne um die 18 Milliarden Euro in einen Staatsfonds übertragen könnten. Der Fonds würde End- und Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente übernehmen. Das Risiko möglicher Mehrkosten für die Endlagerung könnte dem Vernehmen nach "ab einem gewissen Zeitpunkt" der Staat übernehmen.

Nach Ansicht von Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) dürfen die Konzerne bei der Finanzierung des Atomausstiegs nicht aus der Verursacherhaftung entlassen werden. "Finanzielle Beihilfen von Seiten des Staates sind unzulässig", sagte er.

Die Grünen Bundesvorsitzende Simone Peter setzte sich im "Deutschlandfunk " hingegen dafür ein, auch die Lage der Konzerne zu bedenken. Diese sei schlecht. "Wenn wir wie früher fordern, dass die Konzerne alle Kosten übernehmen, dann verkennen wir die wirtschaftliche Situation". Rechnen Sie schon in Kürze mit einer gütlichen Einigung zwischen der Bundesregierung und den Energiekonzernen hinsichtlich der Folgekosten des Atom ausstiegs?

Leprich: In einem überschaubaren Zeitraum auf jeden Fall. Denn der Druck ist groß - sowohl auf die Konzerne als auch auf die Bundesregierung, das Thema vom Tisch zu bekommen. Inzwischen geht es schon um die Existenz von Eon und RWE. Man braucht irgendwann in absehbarer Zeit eine Lösung.

Müsste zwischen den Abrisskosten für die Atomkraftwerke und den Kosten der Lagerung unterschieden werden?

Leprich: Auf jeden Fall, weil die Dimension der Abrisskosten sich jetzt schon einigermaßen gut abschätzen lässt. Bei der Endlagerung des Atommülls lassen sich diese Kosten jedoch nicht kalkulieren, da es dafür noch kein endgültiges Konzept gibt. Insofern muss man das erst einmal trennen.

Wie kann verhindert werden, dass der Steuerzahler die Hauptlast der Folgekosten trägt?

Leprich: Ziel muss es sein, die Lasten der Steuerzahler zu minimieren. Dafür müssen die Rückstellungen von 38,5 Milliarden Euro verbindlich gesichert werden. Sie müssen als Bareinlagen von den Unternehmen kommen. Es darf aber nicht sein, dass der Rest vom Steuerzahler übernommen wird. Ich denke, dass auch weitere Zahlungen aus dem laufenden Geschäft der Energiekonzerne erforderlich sind. Dieses Geld sollte aus ihrem Alt-Geschäft mit Kohle- und Kernkraftwerken kommen. Daher ist es hilfreich, dass RWE und Eon das Alt-Geschäft abspalten von dem, was die neue RWE und die neue Eon an Ressourcen brauchen.

Die Energiekonzerne stehen wirtschaftlich nicht gut da. Könnten sie vor diesem Hintergrund eine Art Rabatt einfordern?

Leprich: Zunächst einmal sind die Konzerne in der Verantwortung. Sie haben mit ihren Atomkraftwerken über Jahrzehnte sehr viel Geld verdient. Vor der Rechnung, die jetzt präsentiert wird, können sie sich nicht drücken. Ansonsten haben sie noch eine Menge Tafelsilber in Form von Beteiligungen. Ich würde nicht vorschnell davon sprechen, dass man die Unternehmen aus der Verantwortung entlässt. Man muss sehr sorgfältig prüfen, was unbedingt notwendig ist, um die Unternehmen neu aufzustellen, und was entbehrlich dafür ist.

Es gibt noch die Schadenersatz-Klagen der Konzerne wegen des Ad-hoc-Ausstiegs der Bundesregierung aus der Atomenergie. Wie sind diese in diesem Zusammenhang zu bewerten?

Leprich: Jeder Vorstand einer Aktiengesellschaft ist verpflichtet, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um finanzielle Einbußen abzuwenden. Ich glaube zwar nicht, dass diese Klagen aussichtsreich sind. Doch die Auseinandersetzung um die Folgekosten des Atomausstiegs muss getrennt davon geführt werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort