Ein Kick fürs Selbstvertrauen

Die Kapuze ins Gesicht gezogen. Die Hände zu Fäusten geballt. Entschlossen lauert der Mann auf die passende Gelegenheit. Gleich wird Nina die Toilette verlassen. Und er die Chance ergreifen. Die Klinke klappt nach unten, die Tür öffnet sich.

 Trainer Arasch Eghbali (rechts) zeigt den Frauen in seinen Selbstverteidigungskursen einfache, aber wirkungsvolle Techniken. Dazu zählen auch Blocks und Übungen zur Schlagabwehr. Foto: Sarah Konrad

Trainer Arasch Eghbali (rechts) zeigt den Frauen in seinen Selbstverteidigungskursen einfache, aber wirkungsvolle Techniken. Dazu zählen auch Blocks und Übungen zur Schlagabwehr. Foto: Sarah Konrad

Foto: Sarah Konrad

Sofort versucht der Angreifer, die junge Frau zurückzudrängen. Doch sie lässt sich nicht einschüchtern, schlägt ihm mit dem Handballen unter die Nase, stößt den Angreifer mit beiden Händen nach hinten und läuft weg.

"Super. Genau richtig", lobt Trainer Arasch Eghbali, der den bösen Buben gemimt hat, seine Schülerin. Er möchte den Teilnehmerinnen in seinem Selbstverteidigungskurs beibringen, sich mit einfachen Mitteln zu verteidigen. Dazu nutzt der erfahrene Kampfsportler Techniken aus den Kampfkünsten Wing Tsun und Brazilian Jiu-Jitsu. "Mir ist es wichtig, dass die Techniken unkompliziert und wirkungsvoll sind", erklärt Eghbali. In seinen Kursen stellt er alltägliche Gefahrensituationen nach. Die Frauen sollen einen realistischen Eindruck bekommen, wie eine Attacke ablaufen kann. Die "angegriffene" Nina Schido erzählt nach der Übung: "Ich hatte keine Angst, weil ich wusste, dass die Attacke nur gespielt war. Es war aber trotzdem ein sehr unangenehmes Gefühl."

Für Ronja (Name geändert) hingegen war es kein Spiel. Als sie im Parkhaus in ihrem Auto sitzt, öffnet sich plötzlich die Beifahrertür. "Ein Mann richtete eine Pistole auf mich, setzte sich neben mich und befahl mir loszufahren", berichtet die Studentin. Der Unbekannte zwang sie mit vorgehaltener Waffe, in einen Wald zu fahren. Dort angekommen, fordert er die 20-Jährige auf, ihre Hose auszuziehen. "Erst da wurde mir klar, dass er mich vergewaltigen will", erinnert sich Ronja. Was sie ab diesem Zeitpunkt auch wusste: Sie wird es nicht zulassen. Sie wird, kann und will sich wehren. Seit ihrem zehnten Lebensjahr ist Ronja im Judoverein, ist Kampfsportlerin, hat den schwarzen Gürtel. "Sich gegen einen Mann zu wehren, der eine Waffe hat, ist schwierig. Aber es war meine einzige Chance." Als der Typ einen Moment unachtsam ist, greift die Studentin mit beiden Händen die Pistole, entreißt sie ihm, tritt und schlägt den Angreifer und schafft es zu fliehen.

Dass Frauen mit ihrer Gegenwehr oft sehr erfolgreich sind, zeigt eine Studie des Bundeskriminalamtes. Demnach wehrten sich zirka zwei Drittel der angegriffenen Frauen . In 80 bis 90 Prozent der Fälle konnten sie damit eine Vergewaltigung verhindern. "Ich mache Judo aus Spaß. Dass ich dabei auch lerne, mich zu verteidigen, war für mich immer nebensächlich", sagt Ronja. "Ich hätte ja nie gedacht, dass ich mal in so eine Situation geraten würde." Diese "Mir-passiert-schon-nichts"-Haltung haben viele Frauen . Dabei werden in der Bundesrepublik laut der deutschen Polizeistatistik jährlich knapp 50 000 Menschen Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen. Also jede Stunde sechs Opfer.

Das weiß auch Gisela Hauprichs. Die 53-Jährige leitet die Selbstverteidigungskurse des Polizeisportvereins Saarbrücken und hat schon oft festgestellt: "Viele Frauen und Mädchen kommen leider erst zu uns, nachdem sie Opfer von Übergriffen geworden sind." Bevor die Ju-Jutsu-Trainerin Verteidigungstechniken zeigt, steht in ihrem Kurs Gewalt-Prävention auf dem Programm. Dazu zählt auch die Körpersprache. "Bewegt euch alle mal wie ein schüchternes Mädchen", weist sie die Teilnehmerinnen an. Diese ducken sich, ziehen die Köpfe ein. "Und jetzt seid ihr große, starke Türsteher." Sofort ändert sich die Haltung der Frauen . Stolz und mit breiten Schultern stampfen sie durch die Halle. Wer Selbstsicherheit ausstrahle, wirke nicht wie ein Opfer. Allein das könne schon Übergriffe verhindern, erklärt Hauprichs. Auch die Stimme helfe. Hauprichs weiß: "In vielen Fällen konnten sich Frauen mit lautem Schreien und Hilferufen verteidigen und ihre Angreifer abschrecken."

Ihre Stimme hätte Ronja nicht geholfen. In dem Wald hätte ihre Schreie wohl niemand gehört. Sie musste sich körperlich wehren. "Ich habe einfache Techniken angewandt. Aber ich war mir sicher, dass sie funktionieren. In dem Moment, in dem ich mich entschloss, dem Kerl die Waffe abzunehmen, war ich überzeugt, dass ich es schaffen kann", erinnert sich die Studentin.

"Wer sich erfolgreich verteidigen will, muss an sich und die Technik glauben", erklärt auch Eghbali. Das Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu steigern, ist daher eines der Hauptziele des Kurses. Um ihre Selbstsicherheit aufzubauen, demonstriert Eghbali den Mädchen, wozu sie in der Lage sind. Andrea Hofmann meldet sich freiwillig. Sie legt sich auf den Rücken, Eghbali setzt sich auf sie und hält die Frau fest. Wie zuvor trainiert, bewegt Andrea ihre Hüfte schnell und heftig nach oben, dreht sich zur Seite, kann sich innerhalb weniger Sekunden befreien. Dennoch zweifelt sie: "Im realen Leben würde ich das doch nie schaffen. Ich packe doch keinen Mann." Ihr Trainer kontert die Selbstzweifel mit einer Frage: "Welche Alternative hast du? Wenn du nix machst, hast du verloren. Wenn du dich wehrst, besteht die Chance, aus der Situation rauszukommen." Eghbali sagt selbst, dass ein Selbstverteidigungskurs nur Grundlagen vermitteln kann. Er gibt seinen Schülerinnen vor allem eines mit auf den Weg: Jede Gegenwehr ist besser, als nichts zu tun. Und wer sicher gehen möchte, dass die Selbstverteidigung Erfolg hat, müsse üben. Jede Menge üben. Und zwar so lange, bis die Technik im Schlaf funktioniert.

Aus dem Schlaf wecken will Eghbali die Grundinstinkte der Frauen . Denn Selbstverteidigung bedeutet auch, die Sinne zu schärfen, gefährliche Situationen zu erkennen und ihnen aus dem Weg zu gehen. "Wenn ich durch den Park laufe und da sitzen besoffene Penner auf der Bank, die Leute anpöbeln, muss ich ja nicht vorbeigehen", erklärt er. Gewalt sei immer die letzte Wahl. Oder wie Gisela Hauprichs es formuliert: "Die höchste Kunst des Kampfes ist, nicht zu kämpfen."

Der nächste Selbstverteidigungskurs für Frauen beim Polizeisportverein Saarbrücken beginnt am 10. September, 19 bis 20.30 Uhr, in der Joachim-Deckarm-Halle in Saarbrücken. Der Kurs findet 13-mal statt. Anmeldung bei Gisela Hauprichs, Tel.: (0 68 97) 6 71 27 oder per E-Mail an

frauenreferentin@sjjv.de.

Arasch Eghbali ist Trainer im Power-Out-Sportzentrum in Saarbrücken-Ost. Bei ihm können Männer und Frauen folgende Kampfsportarten erlenen: Mixed Martial Arts, Brazilian Jiu-Jitsu und Grappling. Die Selbstverteidigungskurse finden immer samstags ab 13.15 Uhr statt. Weitere Infos gibt's auf der Webseite rfs-team.de oder per E-Mail an rfsteam@yahoo.de.

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