Der ewige Streit um die richtige Menge Salz

Die steten Warnungen vor zu viel Salz im Essen, die von der Ärzteschaft und von nationalen wie internationalen Ernährungs- und Gesundheitsorganisationen ausgesprochen werden, haben kürzlich einen heftigen Dämpfer erhalten. Im Medizinerfachblatt Lancet schrieb die Arbeitsgruppe um den Epidemiologen und Biostatistiker Professor Dr. Andrew Mente von der kanadischen McMaster-Universität in Hamilton, eine hohe Salzzufuhr sei keineswegs für alle gefährlich, sondern nur für Menschen mit Bluthochdruck . Umgekehrt erhöhe jedoch eine geringe Salzzufuhr das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Sterblichkeit, und zwar bei allen untersuchten Personen, egal ob mit oder ohne Hochdruckleiden. Konkret steige das Risiko bei einer Natriumzufuhr unter drei Gramm täglich. Natrium ist einer der beiden Bestandteile des Kochsalzes (Natriumchlorid), und drei Gramm Natrium entsprechen 7,5 Gramm Salz. Wer dauerhaft weniger zu sich nimmt, hat also möglicherweise ein erhöhtes Risiko, früher zu sterben.

Nur bei Bluthochdruckpatienten steige ab sieben Gramm Natrium (17,5 Gramm Salz) täglich das Erkrankungs- und Sterberisiko. Im Bereich dazwischen war unabhängig vom Blutdruck das Risiko nicht erhöht. Daher, so Mente, sollten auch nur Menschen mit hohem Blutdruck , die viel Salz essen, zu einer Reduktion motiviert werden. Unter allen Studienteilnehmern träfe dies nur auf etwa zehn Prozent zu.

Andrew Mentes Team hatte für diese Studie die Daten aus vier großen Beobachtungsstudien zusammengeführt und gemeinsam analysiert. Von den knapp 134 000 Teilnehmern mittleren Alters litt rund die Hälfte an Bluthochdruck . Bei ihnen führte eine höhere Natriumzufuhr zu einem stärkeren Anstieg des Blutdrucks als bei Gesunden und zu einer erhöhten Erkrankungs- und Sterberate. Der Salzkonsum wurde anhand der Natriumausscheidung im Urin ermittelt.

Mentes Analyse löste erwartungsgemäß heftige Diskussionen aus, denn sie rüttelt an einem Dogma. Weil das Salz in unserem Essen den Blutdruck erhöhe, soll es auch automatisch zu mehr Schlaganfällen und Herzinfarkten führen. Aus diesem Grund sollen wir alle sparsam mit den weißen Kristallen umgehen, sollen unseren Salzkonsum halbieren, salzreduzierte Fertigprodukte kaufen, bei Tisch nicht nachsalzen, mehr mit Kräutern und Gewürzen kochen und uns für natriumarmes Mineralwasser entscheiden. Aber ist das wirklich sinnvoll?

Richtig ist, dass Salz und Blutdruck eng zusammenhängen, denn das Natrium des Kochsalzes ist ein unentbehrlicher Regulator des Wasserhaushalts im Körper. Da Wasser das wichtigste Transport- und Lösungsmittel im Organismus darstellt, das zudem für die Wärmeregulation sorgt, regelt der gesunde Körper den Natriumpegel im Blut sehr genau. Spezialisierte Nerven auf der Zunge erkennen den Geschmack von Salz, präzise Rückkopplungsmechanismen passen den Appetit auf Salziges an den Bedarf an. Deswegen fällt es meist auch so schwer, deutlich weniger Salz zu essen.

Eine ganze Reihe von Hormonen steuert hier mit, um den Salz- und Wasserhaushalt und den Tonus der Blutgefäße an die jeweiligen Bedürfnisse anzupassen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hält in ihren Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr fest, dass die Natriummengen in Körperflüssigkeiten und -geweben in erster Linie hormonell und via Nieren geregelt werden. Insofern scheint es für Gesunde tatsächlich sinnvoller, sich keine Gedanken um ihren Salzkonsum zu machen.

Die Professorin Dr. Nancy Cook von der Harvard Medical School in Boston sieht das allerdings anders: "Je weniger Salz, umso besser." Cook und ihr Team haben gerade im Journal of the American College of Cardiology einen Artikel veröffentlicht, der besagt, dass ein hoher Salzkonsum auch bei Menschen ohne krankhaft erhöhten Blutdruck das Risiko steigert, früher zu sterben. Allerdings kritisieren andere Experten dieses Ergebnis, weil nicht genau ermittelt worden sei, wie viel Salz die untersuchten Patienten in den vergangenen Jahren tatsächlich gegessen haben, und weil der Zusammenhang zwischen hohem Salzkonsum und erhöhtem Sterblichkeitsrisiko nicht eindeutig nachgewiesen sei. Zudem wurde in Langzeituntersuchungen aus den USA und England kein Zusammenhang zwischen Salzkonsum und Sterblichkeit bei gesunden Menschen gefunden.

Gemüse reguliert den Blutdruck

Trotz enormer Bemühungen ist der Salzkonsum der Menschen nicht gesunken. Für die USA wurde über Jahrzehnte eine mittlere Natriumausscheidung von rund 3,5 Gramm (knapp neun Gramm Salz) täglich ermittelt. Das liegt zwar über dem, was als "akzeptabel" gilt. Eine derartige Konstanz spricht jedoch sehr für eine körperinterne Regelung, die weitgehend immun gegenüber äußeren Einflüssen ist. Offensichtlich ist dem Körper der Schutz vor einem gefährlichen Salzmangel wichtiger als ein wenig zu viel Salz, das gesunde Nieren problemlos wieder ausscheiden können.

Andrew Mentes neue Studie ist nicht die erste, die pauschale Empfehlungen zum Salzsparen kritisch hinterfragt. Schon in früheren Publikationen wurde darauf hingewiesen, dass eine geringe Natriumzufuhr zu mehr Gefäßleiden führt.

Bei vielen Menschen sinkt der Blutdruck , wenn sie weniger Salz essen. Dies aktiviert eine hormonelle Reaktion, die zu unerwünschten Effekten führt. So verschlechtert eine salzarme Ernährung die Wirksamkeit des Hormons Insulin, erhöht die Aktivität des sympathischen Nervensystems sowie die Cholesterin- und Blutfettspiegel. Alles das kann das Risiko einer Herz- oder Gefäßerkrankung steigern. Das erklärt die Ergebnisse der Mente-Analyse. Auch frühere Übersichtsarbeiten waren zu dem Schluss gekommen, dass lediglich Salzmengen unter sechs und über 15 Gramm täglich mit einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko verbunden sind. Warum also sollen wir alle nur sechs Gramm essen? Ein Aspekt, der in der Diskussion oft zu kurz kommt, ist die Frage, wie denn das Salz in unsere Mägen gelangt. Die Verwendung im Haushalt trägt dazu nur fünf bis zehn Prozent bei. Hauptlieferanten sind Brot, Käse, Wurst und vor allem Fertigprodukte und Knabbereien. Doch salzärmere Chips, Brezeln oder Tütensuppen bedeuten noch keine gesunde Ernährung.

Ein kulinarisch und ernährungsphysiologisch sinnvollerer Weg wäre es, mehr kaliumreiche Lebensmittel wie Gemüse , Kartoffeln, Nüsse oder Salat zu essen, denn Kalium ist der Gegenspieler des Natriums im Körper. Auch kalziumreiche Lebensmittel wie Milchprodukte, Kräuter, Saaten und grünes Gemüse helfen, den Blutdruck zu regulieren.

Wer bereits an Bluthochdruck leidet, tut sicher gut daran, einen hohen Salzkonsum zu senken und mehr kaliumreiche Lebensmittel essen. Auch Nierenpatienten müssen sehr aufpassen und sich an die ärztlichen Empfehlungen halten. Und Gesunde müssen es mit dem Salz nicht übertreiben. Die pauschalen Salzsparmaßnahmen für alle bleiben jedoch ein Politikum.

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