Warschaus verspottetes Wahrzeichen

42 Etagen, 3288 Räume, 31 Aufzüge. Ein imposanter Koloss aus Sandstein, an dem sich die Geister scheiden. Unter den Einheimischen verhasst, bei den Touristen eine der beliebtesten Anlaufstellen: der Palast der Kultur und Wissenschaft in Warschau.

 Mit dem Einbruch der Dunkelheit wird der riesige Kulturpalast in leuchtende Farben getaucht. Foto: Fremdenverkehrsamt Warschau

Mit dem Einbruch der Dunkelheit wird der riesige Kulturpalast in leuchtende Farben getaucht. Foto: Fremdenverkehrsamt Warschau

Foto: Fremdenverkehrsamt Warschau

Warschau. Stilistisch gesehen gilt er als absolutes Paradebeispiel für den sozialistischen Klassizismus, oder auch den Zuckerbäckerstil. Nicht ohne Grund bezeichnete der polnische Schriftsteller Wladyslaw Broniewski ihn als wahr gewordenen "Alptraum eines betrunkenen Zuckerbäckers". Und trotz alledem bildet er zweifellos das Wahrzeichen der polnischen Hauptstadt Warschau.

Aber was ist der umstrittene Palast der Kultur und Wissenschaft denn nun: Fluch oder Segen? Die Mehrheit der Einheimischen zögert nicht lange: Der Kulturpalast sei der Inbegriff des Schreckens, das hässliche Symbol jahrzehntelanger Unterdrückung durch die Sowjetunion. Ein ungeliebtes Geschenk Stalins, im Volksmund daher spöttisch "Stalinstachel" oder "Stalins Rache" genannt. Seit 1955 steht er da, mitten in der Stadt. Es ist ganz gleich, wo man sich in Warschau befindet, der Kulturpalast ist allgegenwärtig und dient insbesondere Touristen gern als zentrale Orientierungshilfe. Davon wollen die Warschauer aber erst recht nichts wissen, nicht selten empfehlen sie dem Reisenden: "Der einzige Ort, an dem man ganz bestimmt den schönsten Blick auf die Stadt hat, ist der Kulturpalast, denn von dort oben sieht man das Elend nicht." Ein klares Statement - der 237 Meter hohe Koloss soll endlich verschwinden, hätte es längst tun sollen. Pläne für einen Abriss gab es bereits 1989, direkt nach dem demokratischen Umbruch. Doch trotz der weitreichenden Ablehnung hat der Kulturpalast bis heute überlebt und steht seit 2007 sogar unter Denkmalschutz.

Erst auf der Aussichtsplattform im 30. Stockwerk des Kulturpalastes, auf etwa 114 Meter, wird in vollem Maße ersichtlich, wie die Metropole an der Weichsel langsam aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges auferstanden ist, wie sehr sie sich seitdem entwickelt hat und es auch immer noch tut. Wohin sich der Blick richtet, nahezu überall scheinen gänzlich neue Gebäude, moderne Wolkenkratzer und Glasbauten aus dem Boden zu schießen. Der Kulturpalast, selbst historisches Monument, ist Zeuge des jahrelangen Aufbauprozesses einer Stadt, die im Zweiten Weltkrieg zu 90 Prozent von der deutschen Besatzung zerstört worden war.

Nicht umsonst ist der riesige Komplex, in dem sich unter anderem mehrere Theater und Kinos, Bars und Restaurants, Bibliotheken und private Hochschulen befinden, in den polnischen Medien als "eine Stadt in der Stadt" bekannt. Rund 5000 Menschen arbeiten darin, andere wiederum nutzen das mannigfaltige Kulturangebot. Dort feiern Einheimische und Touristen in das neue Jahr, auf seinem Platz demonstrieren und protestieren sie. Wenngleich der Kulturpalast die Geschmäcker und Gemüter spalten mag, so prägt er doch maßgeblich das Stadtbild. Für Touristen empfiehlt sich ein Besuch bei Einbruch der Dämmerung. Ist die Fahrt in den "Gotischen Saal", also der Aussichtsterrasse mit Rundblick geschafft und die Dunkelheit bereits angebrochen, kann der Palast im Anschluss auf dem Paradeplatz bewundert werden: Bei Nacht wird der graue Sandstein in künstliches Licht getaucht und erstrahlt in bunten Farben.

Wer in Warschau auf den Spuren der Vergangenheit wandeln will, darf sich einen Besuch in der pittoresken Altstadt nicht entgehen lassen. Von ihrer vollständigen Zerstörung nach dem Warschauer Aufstand im August 1944 ist heute nichts mehr zu sehen: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Altstadt samt ihrer historischen Gassen detailgetreu rekonstruiert und später in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen. Auf dem beliebten Markplatz, der vor allem mit seinen traditionell polnischen Restaurants lockt, herrscht sommers wie winters buntes Treiben. Unweit der Altstadt, im Warschauer Stadtteil Muranów, erinnert das Denkmal der Ghettohelden, vor dem Willy Brandt 1970 kniete, an die Opfer des Warschauer Ghettoaufstands. Direkt daneben sticht ein anderes, architektonisch ausgeklügeltes Gebäude hervor: das Historische Museum der polnischen Juden (Polin). Anders als das Museum des Warschauer Aufstands, ganz in der Nähe des Kulturpalastes, fokussiert das erst 2013 eröffnete Polin weniger auf den Holocaust, als auf tausend Jahre jüdisches Leben in Polen.

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Auf einen Blick Frédéric Chopin und Marie Curie zählen Warschau zu ihrer Geburtsstätte. Neben Museen zu deren Leben und Werk, erinnert das Chopin-Denkmal im königlichen Lazienki-Park an den polnisch-französischen Komponisten. mki

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