Späte Strafe: Ziehvater muss wegen Kindesmissbrauchs von 1992 hinter Gitter

Saarbrücken · Fast zwei Jahrzehnte hat ein Opfer von Kindesmissbrauch geschwiegen. Dann offenbarte sich der zwischenzeitlich erwachsene Mann. Jetzt muss der angebliche Täter - der alles abstreitet - ins Gefängnis.

Saarbrücken. Wegen sexuellen Missbrauchs des Sohnes seiner früheren Lebensgefährtin hat das Landgericht einen Saarländer zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Der heute 49 Jahre alte Mann hat nach Feststellung der Richter in den Jahren 1992/1993 den damals neun Jahre alten Jungen in fünf Fällen schwer misshandelt und missbraucht. Der Angeklagte bestreitet dies. Aber am Ende des Prozesses glaubte das Gericht nicht ihm sondern dem zwischenzeitlich erwachsenen Opfer.

Der junge Mann hatte zu Beginn der Übergriffe als kleiner Bub in den 90er Jahren offenbar seiner Großmuter und seiner Mutter davon in Andeutungen erzählt. Aber seine Familie ging nicht zur Polizei, nicht zum Arzt, nicht zu einer auf sexuelle Übergriffe spezialisierten Beratungsstelle. Die Mutter sagte dazu jetzt vor Gericht: Zwar sei Gewalt in der früheren Beziehung zu dem Angeklagten Alltag für sie und ihren Sohn gewesen. Das Kind habe auch mal blaue Flecke gehabt. Aber: "Ich weiß von Missbrauch nichts. Es waren vage Vermutungen. Und auf Vermutungen hin kann man doch nichts machen."

Das Ganze wurde daraufhin für den kleinen Jungen zum Tabuthema. Über Jahre redete er mit niemandem mehr über sein Schicksal. Aber er wurde damit offenbar nicht fertig. Er war als Jugendlicher verhaltensauffällig und aggressiv. Er konnte nachts nicht richtig schlafen, hatte Gewaltfantasien mit dem Ziehvater als Opfer. Auch als Erwachsener schwankten seine Stimmungen extrem - von übervorsichtig und extrem körperlich distanziert beim eigenen Kind bis hin zu gewalttätig gegenüber seiner Lebensgefährtin. Erst nachdem der junge Mann deshalb selbst wegen häuslicher Gewalt strafrechtlich verfolgt und verurteilt wurde, kam er in Kontakt zu entsprechende spezialisierten Ermittlern. Ihnen gegenüber berichtete er dann 2009/2010 erstmals von den fast zwei Jahrzehnte zurück liegenden Ereignissen. Davon wie er misshandelt und missbraucht worden sei. Davon, dass er damals einen Hundewelpen geschenkt bekam. Aber das Tier wurde nicht alt. Der Angeklagte habe den Welpen vor seinen Augen gepackt und umgebracht. Dann habe er gesagt: Genau das passiere mit dem neunjährigen Jungen, wenn er vor ihm weglaufen sollte. Auch von Schlägen mit Bambusstöcken bis aufs Blut berichtete der Zeuge.

Diese Schilderungen fielen dem jungen Mann, der vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagte, sichtlich schwer. Über Jahre hatte er versucht, nach außen stark zu sein - und nun musste er sein Martyrium, das er immer verbergen wollte, fremden Menschen erzählen. Aber er ging irgendwie - mühsam und stockend. Und diese Aussagen kamen gerade noch rechtzeitig. Die geschilderten Taten waren noch nicht verjährt, der Angeklagte konnte deshalb wegen ihnen vor Gericht gestellt und nun auch verurteilt werden. Der Spruch der Richter ist noch nicht rechtskräftig. Der 49-Jährige wird dagegen wohl Revision einlegen. red/wi

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