Keine Brille dabei: Rentnerin darf Vertrag mit Fitness-Studio auflösen

München · Geschlossene Verträge sind einzuhalten. Dieser alte Grundsatz gilt nicht immer. Wenn sich jemand bei Vertragsabschluss geirrt hat, dann kann er seine Zustimmung unter Umständen anfechten und den Vertrag kippen.

Wer irrtümlich eine Erklärung unterschreibt, die einen anderen Inhalt hat als besprochen und gedacht, kann diese Erklärung anfechten. Das hat das Amtsgericht München im Fall einer fast 70 Jahre alten Rentnerin klargestellt. Sie hatte bei einem Fitness-Studio statt eines Probetrainings einen Vertrag für mehr als ein Jahr abgeschlossen (Az.: 271 C 30721/13).

Die Rentnerin aus München hatte auf einen Flyer des Fitness-Studios für Frauen reagiert. Auf dem Werbeflyer ist zu lesen: "Testen Sie uns! 2 Wochen 19,90 Euro - letzter Starttermin 28.2.13." Die Münchnerin leidet seit Jahren an körperlichen Problemen. Nach einer Rückenoperation Anfang 2013 wurden ihr sanfte Übungen zur Wiederherstellung der Rückenmuskulatur von den Ärzten empfohlen. Da sie von Sozialhilfe lebt, konnte sie sich einen Vertrag mit einem Fitness-Studio eigentlich nicht leisten. Sie beschloss aber, das Angebot auf dem Werbeflyer zu nutzen.

Noch vor Ablauf des Aktionszeitraums ging sie in das Studio, legte den Flyer vor und gab an, dieses Angebot nutzen zu wollen. Anschließend unterschrieb sie eine schriftliche Vereinbarung mit dem Fitness-Studio. Da sie ihre Brille vergessen hatte, konnte sie den Wortlaut aber nicht lesen. Das sagte sie auch dem zuständigen Mitarbeiter des Studios. Dieser versicherte auf mehrmalige Fragen der Münchnerin jeweils, dass es sich um einen Vertrag entsprechend dem Angebot auf dem Flyer handeln würde.

Tatsächlich hatte die Münchnerin jedoch einen Vertrag unter anderem für ein 64 Wochen Basispaket zu fast 16 Euro pro Woche nebst einem Startpaket zu 49 Euro unterschrieben. Nachdem sie zu Hause mit der Brille den Vertrag durchgelesen und den Irrtum bemerkt hatte, forderte sie das Fitness-Studio auf, den Vertrag rückgängig zu machen. Begründung: Sie fühle sich getäuscht und könne sich die Gebühren nicht leisten. Das Fitness-Studio bestand aber auf der Einhaltung des Vertrags und verlangte unter anderem sämtliche Beiträge für die Restlaufzeit und das Startpaket - insgesamt 1.130 Euro. Als die Frau nicht zahlte, klagte das Studio vor dem Amtsgericht. Ohne Erfolg.

Urteil der Amtsrichterin: Die Rentnerin muss nicht bezahlen. Sie habe den Vertrag wirksam angefochten, da sie sich über dessen Inhalt geirrt habe. Sie sei davon ausgegangen, nur eine zweiwöchige Nutzungsvereinbarung gemäß dem Werbeflyer abgeschlossen zu haben. Der Bundesgerichtshof habe insoweit bereits 1994 entschieden, dass jemand, der ein Schriftstück ungelesen unterschrieben hat, den Vertrag anfechten kann, wenn er sich von dessen Inhalt eine bestimmte, allerdings unrichtige Vorstellung gemacht hat. Da die Münchnerin den Vertrag mangels Brille nicht lesen konnte, habe sie sich darüber geirrt, welche Bedeutung ihrer Erklärung bei dem Geschäft zugekommen sei. Wenn sie deren tatsächlichen Inhalt gekannt hätte, hätte sie den Vertrag nicht unterschrieben. Darüber hinaus konnte das Gericht aber nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Kundin vorsätzlich getäuscht oder angelogen worden sei. Vielmehr dürfe der Fehler auf beiden Seiten gelegen haben, so die Richterin. Motto: Wird schlecht zugehört, redet man ganz schnell aneinander vorbei.

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