Aufsicht in Altenheimen Alzheimer-Patientin stürzt und verletzt sich schwer in Seniorenheim: Wer ist schuld?

Coburg · Immer wieder stürzen Patienten in Altenheimen, verletzen sich schwer oder sterben. Ob daran der Heimbetreiber schuld ist oder nicht, muss in jedem Fall genau geprüft werden. Dazu ein umfangreicher Musterfall in unserem Rechts-Tipp.

 Eine Pflegekraft hilft einer alten Frau beim Trinken aus einem Becher in einem Seniorenheim. Symbolfoto.

Eine Pflegekraft hilft einer alten Frau beim Trinken aus einem Becher in einem Seniorenheim. Symbolfoto.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Wer ist schuld, wenn in einem Seniorenheim jemand stürzt und sich verletzt? Das Landgericht Coburg ist dieser Frage nachgegangen und hat sie systematisch abgearbeitet. Am Ende hat es dann die Klage einer gesetzlichen Krankenkasse auf Erstattung von Behandlungskosten in Höhe von über 20.000 Euro gegen den Betreiber eines Seniorenheims abgewiesen. Die Krankenkasse hatte das Geld nach dem schweren Sturz einer Heimbewohnerin aufbringen müssen und machte dafür den Heimbetreiber verantwortlich. Das Gericht sah jedoch keine Pflichtverletzung auf Seiten des Heims, welche zu dem Sturz der Seniorin geführt hätte.

Grundsätzliches und allgemein gültiges Fazit der Richter: "Aus der Tatsache, dass ein Unfall im Pflegeheim eingetreten ist, kann nicht auf eine Pflichtverletzung des Heimbetreibers gefolgert werden. Ob eine Pflichtverletzung vorlag, kann nur im Rahmen einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden. Dabei ist dem Heimträger auch ein gewisser Beurteilungsspielraum hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen zuzubilligen." (Az.: 22 O 355/13)

Damit zu den Einzelheiten des Falles: Die betroffene Frau befand sich seit 2008 in dem Seniorenheim. Sie litt an Demenz vom Typ Alzheimer. In einem Pflegegutachten wurden der Seniorin Sturzneigung und eine Weglauftendenz bescheinigt. Das Betreuungsgericht hatte deshalb auf Antrag Maßnahmen zur Fixierung der alten Dame genehmigt. Im August 2010 wurde die Alzheimer-Patientin wie jeden Tag in den Speisesaal geführt. Nachdem man sie in einen Sessel gesetzt hatte, wurde sie an den Tisch geschoben. Kurze Zeit später bemerkte das Pflegepersonal, dass die Seniorin nicht mehr in ihrem Sessel saß. Sie war in das Treppenhaus gelaufen, dort gestürzt und hatte sich Brüche, unter anderem am Halswirbel, zugezogen. Die Krankenkasse zahlte deswegen Behandlungskosten über 20.000 Euro, welche sie vom Pflegeheim ersetzt haben wollte.

Die Krankenkasse war der Ansicht, das Heim habe den Sturz pflichtwidrig verursacht. Dem Heim seien die Weglauftendenz und die Sturzneigung bekannt gewesen. Am Sessel der Seniorin sei ein Fixierbrett anzulegen gewesen. Zudem sei die Bewohnerin des Seniorenheims pflichtwidrig nicht beaufsichtigt worden. Das Seniorenheim verteidigte sich damit, dass es der Betroffenen seit etwa einem Jahr nicht mehr gelungen wäre, aus eigener Kraft aufzustehen. Man habe die alte Dame ausreichend beaufsichtigt. Es sei nicht notwendig gewesen, ein Fixierbrett am Sessel der Heimbewohnerin anzubringen.

Das Landgericht Coburg wies die Klage der Krankenkasse ab. Es konnte keine Pflichtverletzung des Heims feststellen. Grundsätzliche Begründung: Die Pflicht eines Seniorenheims sei begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Dabei sei insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen im Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner zu wahren und zu fördern sind. Die Richter weiter: Aus der Tatsache, dass ein Schaden eingetreten sei, könne nicht im Nachhinein automatisch der Schluss auf eine Pflichtwidrigkeit des Heimträgers gezogen werden. Der Heimträger habe vielmehr einen Beurteilungsspielraum in der Entscheidung über die Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen. Sofern die Entscheidung vertretbar erscheine, führen eingetretene Unfälle nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht im Nachhinein zur Verantwortlichkeit des jeweiligen Heimträgers.

Und wie sah das Ganze im konkreten Fall aus? Nach der Beweisaufnahme kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass sich die Bewohnerin nicht in einer konkreten Gefahrensituation befunden habe. Zwar sei in einem Pflegegutachten über ein Jahr vor dem Unfall eine Sturzneigung und eine Weglauftendenz festgestellt worden. Laut Aussage von Zeugen war die Betroffene aber seit längerer Zeit nicht mehr selbst aus ihrer jeweiligen Sitzposition aufgestanden. Daher sei zum Zeitpunkt des Sturzes eine zwangsweise Fixierung im Sessel nicht mehr erforderlich erschienen. In der Pflegedokumentation sei für die Zeit vor dem Unfall insoweit ausgeführt, dass die Erkrankte tagsüber sehr ruhig in ihrem Ohrensessel sitze und deshalb auf eine Fixierung verzichtet werde. Auch finde sich dort die Einschätzung, dass die Heimbewohnerin nicht mehr aus eigener Kraft aus dem Bett oder Stuhl aufstehen könne. Beim Sitzen bestehe demnach keine Sturzgefahr.

Das Gericht kam auch zu dem Ergebnis, dass ein Fixierbrett am Sessel eine Belastung für die Heimbewohnerin dargestellt hätte. Es sei erkennbar und nachvollziehbar, dass ein solches Fixierbrett die Heimbewohner störe. Es sei keine geringfügige Belastung, mehrere Stunden am Tag mit einem Brett dicht am Körper fixiert zu sein, da dadurch die Sitzposition innerhalb des Sessels nur eingeschränkt verändert werden könne. Auch die Tochter der verletzten Seniorin habe vom Heim gewünscht, auf das Fixierbrett zu verzichten. Vor diesem Hintergrund sei das Fehlen eines Fixierbretts nicht zu beanstanden, so die Richter weiter. Die Tatsache, dass ein Betreuungsgericht die Fixierung der Frau genehmigt hatte, ändere daran nichts. Diese Genehmigung sei kein Befehl an den Heimträger, sondern lediglich die gerichtliche Erlaubnis für eine Fixierung.

Aus Sicht des Gerichts liegt auch keine Pflichtverletzung darin, dass die Heimbewohnerin sich 10 bis 15 Minuten ohne Aufsicht im Speisesaal befunden hat. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung seien bis zu 15 Minuten ohne Beaufsichtigung keine Pflichtverletzung des Heimträgers. Die Forderungen nach lückenloser Beaufsichtigung überschreite das wirtschaftlich Zumutbare. Im vorliegenden Fall seien die Türen des Speisesaals offen gewesen, so dass Blicke des Personals in den Saal auch innerhalb der 15 Minuten möglich waren. Das Nichterkennen des Weggehens einer einzelnen Heimbewohnerin stelle keine Pflichtverletzung dar. So weit im Jahr 2014 das Landgericht.

Unsere Rechts-Tipps: Im Alltag stellen sich viele rechtliche Fragen. Die Gerichte haben sie oft bereits beantwortet. Wir suchen nach dem passenden Fall in unserem Archiv von Recht-Spezial und liefern so die Antworten auf aktuelle Fragen.

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