Experten wollen Verkehrschaos bändigen

Weimar · Kilometerlange Staus, Parkplatzsuche in Ballungsräumen, Verkehrssicherheit und Unfalltote gelten als Geißeln des 21. Jahrhunderts. Angesichts des ungebrochenen Drangs der Menschheit nach Mobilität ringen Fachleute um Lösungen. Interdisziplinäre Betrachtungen sollen den Durchbruch bringen.

 In der spanischen Hauptstadt Madrid hat die Firma Otto Wöhr aus Baden-Württemberg ein automatisches Parkhaus mit 320 Stellplätzen gebaut. Der Fahrer stellt seinen Wagen in einen Aufzug und steigt aus. Das Auto wird dann automatisch auf einen freien Platz transportiert. Foto: Wöhr

In der spanischen Hauptstadt Madrid hat die Firma Otto Wöhr aus Baden-Württemberg ein automatisches Parkhaus mit 320 Stellplätzen gebaut. Der Fahrer stellt seinen Wagen in einen Aufzug und steigt aus. Das Auto wird dann automatisch auf einen freien Platz transportiert. Foto: Wöhr

Foto: Wöhr

Professor Peter König beginnt mit einem provokanten Knaller: "Wir erlauben uns jedes Jahr einen 11. September auf unseren Straßen." Mit der Anspielung auf die Terroranschläge in den USA 2001 will König auf die 3475 Toten im Straßenverkehr im letzten Jahr in Deutschland aufmerksam machen. Zugegeben, das ist ein krasser Vergleich, der obendrein an entscheidenden Stellen hinkt. Trotzdem weist er auf die scheinbare Ohnmacht hin, die er als Leiter des sechsten Symposiums "Verkehrswege 2030" in Weimar zur Diskussion stellt.

Eingeladen hatte das Deutsche Institut für Qualitätsförderung mit Sitz in Saarbrücken. Vertreter von Ingenieurbüros mit Schwerpunkt Verkehrstechnologien, Straßenplaner, Management-Entwickler, Verkehrsclubs und Universitäten wagten nach der Bestandsaufnahme heutiger Verkehrswege einen Ausblick in die Zukunft. Dabei ging es vornehmlich um Straßenverkehr . Bahn, Wasserwege und die Luftfahrt blieben außen vor.

Am Ende des Tages wird deutlich: Eine Revolution wird im Straßenverkehr bis zum Jahr 2030 nach einhelliger Meinung der Referenten nicht stattfinden, wohl aber sind positive Entwicklungen möglich, sofern der politische und gesellschaftliche Wille vorhanden ist und umgesetzt wird.

Beispiel Verkehrstote: Seit zwei Jahren steigt deren Anzahl in Deutschland wieder. "Das ist nicht gottgegeben", erläutert Ute Hammer, Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrssicherheitsrates. "Die Freiheit des einzelnen hört auf, wo die Gefährdung des anderen beginnt." Nach ihrem Vortrag stehen Themen wie Tempo 80 statt 100 auf Landstraßen , konsequente Überholverbote in strittigen Abschnitten sowie eine Null-Promille-Grenze für Autofahrer im Raum.

Zudem wirbt die Referentin für gezielte Mängelbeseitigung im Straßenbau: gefährliche Bankettstufen am Fahrbahnrand, fehlende alleinige Linksabbiegephasen an Ampeln oder frische Baumbepflanzung ohne Schutz direkt neben einer Straße. Sie weiß, wovon sie spricht, denn im vergangenen Jahr kamen 30 Prozent der Getöteten innerorts und 58 Prozent auf Landstraßen ums Leben. "Dort sind die Potenziale für eine Verringerung enorm." Im Vergleich dazu sei der Anteil mit zwölf Prozent auf Autobahnen gering.

Abschließend stellt Hammer fest: "Die Maßnahmen müssen nicht immer teuer sein, wir müssen nur den Stand des Wissens nutzen." Dazu gehören nach Ansicht der Symposiums-Teilnehmer in Zukunft mehr denn je für jeden nachvollziehbare Regeln und deren gezielte Überwachung.

Erst auf den zweiten Blick erschließt sich für manchen die Bedeutung des ruhenden Verkehrs. "Jedes Auto parkt im Schnitt 23 Stunden am Tag." Ilja Irmscher von der Gesellschaft für innovative Verkehrstechnologien (GIVT) in Berlin kennt den weltweiten Kummer bei der Suche nach Parkplätzen und den dafür notwendigen Flächenbedarf.

Vor zehn Jahren wurde das von der GIVT mitbetreute automatische Anwohnertiefgaragen-Projekt Donnersbergerstraße in München eingeweiht. "Es handelt sich um ein unterirdisches Hochregallager", führt Irmscher aus. Bequem und sicher wird in einer von vier gläsernen Übergabekabinen ein- und ausgeparkt. Sobald die Fahrzeuge unter der Erde verschwinden, werden sie auf insgesamt 284 Stellplätzen vollautomatisch eingelagert. "Die Verfügbarkeit liegt bei 99 Prozent, es gibt keinen nennenswerten Parksuchverkehr mehr in der Straße, wodurch auch weniger Lärm und Schadstoffe entstehen." Laut Irmscher dauert die maximale Wartezeit bei der Auslagerung rund drei Minuten. Aufgrund der hohen Attraktivität und der Zufriedenheit der Anwohner sei die Garage ausgebucht. Für einige Städte könnten solche Parksysteme beispielhaft werden.

Neue Straßen zur Staubekämpfung sind umstritten, da sie den Verkehr magisch anziehen und bald selbst überfüllt sind. Eine schnelle Lösung sind mitunter durchaus sinnvolle Umgehungsstraßen ohnehin nicht. Ingo Mlejnek vom Landesamt für Bau und Verkehr in Thüringen gibt allen nach Weimar Angereisten mit auf den Weg: "Das Jahr 2030 kommt schneller als wir denken. Von der Vorplanung bis zum tatsächlichen Bau einer neuen Straße dauert es heutzutage bis zu 15 Jahre."

Abschließend fasst Symposiumsleiter König einmal mehr die Wünsche für ein tragfähiges Mobilitäts-Konzept zusammen: "Wir brauchen Investitionen in neuartige Verkehrsleitsysteme, eine sichere Infrastruktur und attraktive Alternativen zum Pkw." Mit weniger Autos auf den derzeit vielerorts völlig überfüllten Straßen könnten wir dem Ziel einer verbesserten Lebensqualität näherkommen.

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