Die Rechte der Enterbten

Berlin · Wenn ein Streit in der Familie eskaliert oder sich Verwandte entfremden, können Erblasser Angehörige vom Erbe ausschließen. Doch auch Enterbte haben unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses.

 Ein wenig bekommen nahe Angehörige vom Erbe immer. Denn ihnen steht laut Gesetz ein Pflichtteil zu. Diesen können ihnen Erblasser nur unter strengen Voraussetzungen entziehen. Foto: Karolin Kramer/dpa

Ein wenig bekommen nahe Angehörige vom Erbe immer. Denn ihnen steht laut Gesetz ein Pflichtteil zu. Diesen können ihnen Erblasser nur unter strengen Voraussetzungen entziehen. Foto: Karolin Kramer/dpa

Foto: Karolin Kramer/dpa

(dpa) Das schwarze Schaf der Familie soll nichts vom Vermögen bekommen? Grundsätzlich ist das möglich. "Entweder ordnet der Vererbende den Ausschluss eines gesetzlichen Erben im Testament an oder er erwähnt ihn einfach gar nicht", sagt Eugénie Zobel-Kowalski von der Stiftung Warentest.

Abhängig vom Verwandtschaftsgrad steht dem Enterbten aber unter Umständen ein Mindestanteil des Nachlasses zu, der sogenannte Pflichtteil. "Durch den Pflichtteil stellt der Gesetzgeber sicher, dass enge Angehörige nicht ganz leer ausgehen", erklärt Zobel-Kowalski.

Wem steht der Pflichtteil zu? Zum Kreis der Berechtigten gehören in erster Linie der Ehe- beziehungsweise Lebenspartner bei einer eingetragenen Lebensgemeinschaft sowie die Kinder. "Geht eine dieser Personen laut Testament leer aus, hat sie einen Anspruch auf die Auszahlung des Pflichtteils", erklärt Stephanie Herzog von der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen Anwaltverein. Leben die Kinder des Erblassers nicht mehr, sind die Enkel pflichtteilsberechtigt. "Verstirbt jemand ohne Abkömmlinge, so haben die Eltern einen Pflichtteilanspruch, nicht aber Geschwister, Neffen oder Nichten", erläutert Rechtsanwalt und Notar Professor Dr. Thomas Grote aus Essen.

Wie hoch ist der Pflichtteil?

Die Faustregel ist einfach. "Der Pflichtteil entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils", sagt Stephanie Herzog. Bei einer Familie mit zwei Kindern bedeutet das beispielsweise, dass laut der gesetzlichen Erbfolge die Ehefrau nach dem Tod ihres Mannes die Hälfte des Nachlasses bekommen würde und die beiden Kinder jeweils ein Viertel des Erbes. Als Pflichtteil steht den Kindern also jeweils ein Achtel des Nachlasses zu. Der Pflichtteil kann jedoch nie negativ sein. "Berechtigte müssen also nicht für Schulden haften", erklärt Herzog.

Wie lange kann ein Berechtigter den Pflichtteil einfordern?

Berechtigte müssen ihren Anspruch nach dem Tod des Erblassers gegenüber den Erben geltend machen. Die Frist verjährt nach drei Jahren. "Sie beginnt am Ende des Jahres, in dem der Erblasser gestorben ist und die Person Kenntnis von der Enterbung hat", sagt Grote. Ist der Erblasser also beispielsweise am 22. Mai 2016 gestorben, kann der Berechtigte seine Pflichtteil bis zum 31. Dezember 2019 einfordern.

Auf welche Weise muss der Berechtigte den Pflichtteil einfordern?

Formal gibt es kaum Vorgaben. "Rein rechtlich reicht es, wenn der Berechtigte seine Forderung mündlich äußert. Ich würde jedoch jedem empfehlen, die Auszahlung schriftlich einzufordern", sagt Herzog. Erst als letztes Mittel sollte eine gerichtliche Durchsetzung stehen. Meist kennt der Berechtigte nicht die Höhe des Nachlasses. Er hat aber einen Auskunftsanspruch. Die Erben müssen ihm den gesamten Nachlass offenlegen. "Um die Höhe seines Anspruches zu ermitteln, muss er davon die Beerdigungskosten und gegebenenfalls sonstige Schulden abziehen", erläutert Herzog. Auch Schenkungen zu Lebzeiten müssen gegebenenfalls berücksichtigt werden.

Kann der Erblasser jemanden den Pflichtteil auch entziehen?

Im Prinzip ja, die Hürden sind aber sehr hoch. "Der Pflichtteilberechtigte ist vom Gesetzgeber gut geschützt", sagt Thomas Grote. Möglich ist der Entzug etwa, wenn der Pflichtteilberechtigte dem Erblasser nach dem Leben getrachtet oder ihn körperlich verletzt hat. "Aber auch, wenn der Berechtigte eine schwere Straftat begangen hat und dafür ein Jahr ohne Bewährung ins Gefängnis musste", erläutert Grote.

In jedem Fall sollte der Erblasser im Testament oder im Erbvertrag genau beschreiben, warum es unzumutbar ist, einen Pflichtteilberechtigten am Nachlass teilhaben zu lassen. Denn besteht nach dem Tod des Erblassers eine Unklarheit, kann die Entziehung des Pflichtteils unwirksam sein. "Dann müssten die Erben gute Argumente und Beweise vorweisen, warum dies dennoch gerechtfertigt ist", erklärt Stephanie Herzog.

Kann der Erblasser den Pflichtteil reduzieren?

Unter Umständen schon. "Dann muss der Pflichtteilberechtigte jedoch kooperieren", erklärt Eugénie Zobel-Kowalski. Denn sein Anspruch entfällt, wenn er eine Verzichtserklärung unterschreibt. Das Dokument sollte ein Notar beurkunden, rät die Redakteurin der Zeitschrift Finanztest. In der Praxis ist sein Einverständnis eher unwahrscheinlich. "Unter Umständen lässt er sich darauf ein, wenn er im Gegenzug dafür eine Abfindung sofort ausgezahlt bekommt", sagt Zobel-Kowalski.

Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Der spätere Erblasser kann alles schon zu Lebzeiten ausgeben. Eine weitere Möglichkeit, den Pflichtteil zumindest zu reduzieren, sind Schenkungen schon zu Lebzeiten. So kann der Erblasser einen Teil des Vermögens eher in seinem Sinne verteilen, zum Beispiel an seinen geliebten Sohn. Durch die Schenkung wird das Erbe kleiner und somit auch der Wert des Pflichtteils, den zum Beispiel später die enterbte Tochter erhält. Wichtig ist dabei eine rechtzeitige und vorausschauende Planung. Denn laut Gesetz spielen nur Schenkungen, die beim Erbfall länger als zehn Jahre zurückliegen, bei der Berechnung des Pflichtteils keine Rolle mehr. Aus Schenkungen, die vor weniger als zehn Jahre erfolgt sind, hat der Pflichtteilsberechtigte einen sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben. Der Wert der Schenkung wird dabei dem Nachlass hinzugerechnet. Er schmilzt jedoch für jedes Jahr, das zwischen Schenkung und Erbfall verstrichen ist, um ein Zehntel.

Die Frist läuft aber nicht, wenn sich der Erblasser ein Nießbrauchsrecht vorbehalten hat, also ein Wohn- und Nutzungsrecht an einer Immobilie. Auch bei Geschenken zwischen Ehepartnern beginnt die Frist erst zu laufen, wenn die Ehe aufgelöst oder der Beschenkte verstorben ist.

Zum Thema:

Die wichtigsten Inhalte des deutschen Erbrechts Jeder Erblasser kann Angehörige per Testament enterben, ohne das begründen zu müssen. Wer als Ehepartner oder Angehöriger enterbt ist, muss aber nicht leer ausgehen: Er hat einen Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil (Paragraf 2303 BGB). Der Pflichtteil beläuft sich allerdings nur auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Ein Pflichtteilsberechtigter muss seinen Anteil von den Erben einfordern. Das Nachlassgericht spricht den Pflichtteil nicht automatisch zu. Unter besonderen Umständen können Eltern ihren Kindern auch den Pflichtteil entziehen, etwa wenn das Kind wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde.

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