Wie Jugendliche zu Terroristen werden

Saarbrücken · Radikale Gruppen werben im Internet mit professionellen Methoden junge Menschen an. Diese radikalisieren sich oft innerhalb kürzester Zeit. Doch wie gelingt den Extremisten das? Und was kann gegen die Online-Propaganda getan werden?

 Extremistische Gruppen wie der Islamische Staat sind im Internet sehr präsent. Ihre Online-Propaganda richtet sich vor allem an Jugendliche. Foto: dpa

Extremistische Gruppen wie der Islamische Staat sind im Internet sehr präsent. Ihre Online-Propaganda richtet sich vor allem an Jugendliche. Foto: dpa

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Was bewegt junge Menschen dazu, ihr bisheriges Leben aufzugeben und sich einer radikalen Terrorgruppe anzuschließen? Wie kommt es dazu, dass sie bereit sind, sich bei Attentaten selbst zu töten und möglichst viele andere Menschen mit in den Tod zu reißen? Die Ursachen dafür können meist nicht eindeutig benannt werden. Eines steht jedoch fest: Das Internet spielt bei der Radikalisierung junger Menschen häufig eine bedeutende Rolle.

Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) sind bis Oktober vergangenen Jahres 784 Männer und Frauen aus Deutschland nach Syrien oder Irak ausgewandert, um sich islamistischen Terrorgruppen anzuschließen. Der Großteil der Auswanderer ist laut BKA zwischen 18 und 30 Jahren alt. Neben persönlichen Kontakten im sozialen Umfeld ist das Internet gerade zu Beginn der Radikalisierung der wichtigste Faktor. Laut BKA spielt Online-Propaganda bei etwa der Hälfte der Nachwuchs-Dschihadisten eine Rolle.

"Das Internet bietet extremistischen Gruppen die Möglichkeit, ihre Inhalte breit zu streuen", sagt Nils Böckler, der am Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt die Radikalisierung im Internet erforscht. Die radikalen Gruppen gingen bei ihrer Propaganda im Netz sehr organisiert vor. Die vielen Texte und Videos, die im Netz kursieren, seien nur ein Teil der Propaganda. Mittlerweile verbreiteten die Extremisten auch eigene Comics, Computerspiele und Apps, sagt Böckler. In den Computerspielen kämpften Jugendliche etwa als Dschihadisten. Die Extremisten lockten sie dann mit Nachrichten wie "Was du jeden Tag in deinem Kinderzimmer spielst, kannst du hier bei uns auch in der Realität erleben - komm nach Syrien". Gerade der sogenannte Islamische Staat (IS) verstehe es sehr gut, seine Inhalte jugendgerecht aufzuarbeiten, so Böckler.

Auch in Diskussionsforen und sozialen Medien seien Extremisten äußerst aktiv. Sie sprechen dort ganz gezielt bestimmte Nutzer an. "Es gibt bei islamistischen Gruppen sogar Strategiepapiere, in denen steht, wann in Diskussionen eingegriffen werden soll", erklärt Böckler. Die Dschihadisten treten den Jugendlichen zunächst mit großer Wertschätzung entgegen und zeigen sich interessiert an deren Meinung. Dann senden sie ihnen über einen längeren Zeitraum immer wieder Nachrichten.

So entstehe eine soziale Bindung. Bis zu einem bestimmten Punkt finden die Unterhaltungen in Foren oder sozialen Netzwerken statt. Später werden sie häufig in geschlossene virtuelle Bereiche bei Messenger-Diensten verlagert. Wer sich profiliert, komme in Kontakt mit angesehenen Dschihadisten. "Es öffnen sich als Belohnung Türen zu interessanten Leuten", sagt Böckler. Das geschehe häufig über private Gruppen bei Diensten wie Whatsapp oder Telegram. Die Jugendlichen werden dann stufenweise in weitere geschlossene Gruppen bei den Messengern eingeladen.

"Die Radikalisierung erfolgt heute wesentlich schneller als noch vor einigen Jahren. Damals dauerte der Prozess etwa vier bis fünf Jahre, heute oftmals nur noch ein Jahr", so Böckler. Es habe sich bei vielen Anschlägen gezeigt, dass dahinter keine wirkliche politische Motivation steckte. Es sei für die Täter eher darum gegangen, der Mittelpunkt einer konspirativen Bewegung zu sein. Eine mögliche Ursache für die schnellere Radikalisierung sei, dass der IS Fragmente seiner Ideologie im Internet wie in einem Schaufenster präsentiert.

Doch was kann gegen die Internet-Propaganda extremistischer Gruppen getan werden? "Wenn Nutzer auf extremistische Inhalte stoßen, sollten sie diese unbedingt der Polizei melden", sagt Karsten Klein von der Abteilung Staatsschutz der Saarländischen Polizei. Dazu sollte ein Bildschirmfoto, ein sogenannter Screenshot, angefertigt werden. Das Foto und ein Link könnten dann per Mail zum Beispiel an die Adresse LPP23@polizei.slpol.de gesendet werden. Verbotene Symbole wie etwa die IS-Flagge oder Hakenkreuze zu verbreiten, werde strafrechtlich verfolgt, erklärt Klein. Auch Volksverhetzung und der Aufruf zu Gewalt seien strafbar. Wenn Extremisten Jugendliche in sozialen Medien ansprechen, bekommen andere Nutzer davon jedoch in der Regel nichts mit, so Klein. Auch Webseiten, die über die Methoden und Ideologien von Extremisten aufklären, seien allein nicht ausreichend, sagt Nils Böckler. Um der Propaganda radikaler Gruppen wirksam entgegen zu treten, müsse es Online-Sozialarbeiter geben, die in eine direkte Kommunikation mit gefährdeten Jugendlichen treten, bevor der Radikalisierungsprozess beginnt. Der Bund fördere einige solcher Projekte. Diese seien jedoch meist auf ein oder zwei Jahre begrenzt. Eine langfristige Förderung wäre nach Böcklers Ansicht deutlich wirkungsvoller.

E-Mail: LPP23@polizei.slpol.de

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