Wehe, wenn der Schutzschirm bröselt

Potsdam · Erst das Erdmagnetfeld macht das Leben möglich. Doch die Stärke dieses Schutzschildes schwindet zusehends.

 Das Erdmagnetfeld hüllt die Erde wie ein schützender Kokon ein. Es hält die besonders gefährlichen Anteile der Strahlung der Sonne von uns fern. Grafik: ESA/ATG medialab

Das Erdmagnetfeld hüllt die Erde wie ein schützender Kokon ein. Es hält die besonders gefährlichen Anteile der Strahlung der Sonne von uns fern. Grafik: ESA/ATG medialab

Wer heute Polarlichter sehen will, muss in den Norden Skandinaviens, Islands, Kanadas, nach Tasmanien oder in die Antarktis fahren. Doch die frühesten Vorfahren des Menschen, die vor zwei Millionen Jahren das Laufen lernten, konnten Polarlichter vermutlich in Afrika sehen. Dafür gibt es zumindest geologische Hinweise. Sie zeigen, dass sowohl die Stärke des Erdmagnetfeldes als auch die Lage der Pole sich in den vergangenen Jahrmillionen stark verändert haben.

"In der Erdgeschichte gab mehrfach Feldabschwächungen von zum Teil mehr als 90 Prozent und sogar Polumkehrungen", erklärt Dr. Jürgen Matzka, Leiter des geomagnetischen Observatoriums Niemegk am Deutschen Geoforschungszentrum GFZ. Die letzte bekannte Umkehr des Magnetfeldes fand vor knapp 800 000 Jahren statt. Es gibt aber auch Hinweise auf Zeiträume von 20 Millionen Jahren, während derer die Feldstärke zwar schwankte, aber keine Polumkehr auftrat.

Bereits vor 20 Jahren hat der emeritierte Göttinger Geophysiker Horst-Ulrich Worm darauf hingewiesen, dass solche Umpolungen des Magnetfeldes in geologischen Zeiträumen extrem schnell - vielleicht sogar innerhalb eines Menschenlebens - ablaufen könnten. Zu ähnlichen Ergebnissen kam der Geophysiker Norbert Nowaczyk vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ in Potsdam. Allerdings teilen nicht alle Geowissenschaftler diese Ansicht.

Wie schnell es zu einer Abschwächung des magnetischen Feldes und einer Polumkehr kommt, können Wissenschaftler derzeit nicht sicher vorhersagen. "Unsere Modelle lassen bestenfalls Aussagen über eine Zeitdauer von wenigen Jahrzehnten zu", erklärt Professor Ulrich Christensen, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen.

Seit dem Jahr 1840 registrieren Geophysiker eine Verschiebung des magnetischen Nordpols von den Prince of Wales-Inseln im Norden Kanadas in Richtung Sibirien. Die Geschwindigkeit der Polwanderung ist für geologische Phänomene sehr groß. Sie beträgt derzeit etwa vierzig Kilometer pro Jahr. Gleichzeitig wird seit etwa einem Jahrhundert eine Schwächung des Feldes um zehn bis 20 Prozent registriert. "Das Ausmaß der Feldabschwächung ist beachtlich", erklärt der Geophysiker Matzka. Starke Sorgen vor den Folgen einer unmittelbar bevorstehenden Polumkehr seien aber unbegründet. Erst wenn das Magnetfeld um mehr als die Hälfte abnimmt, steigen die Wahrscheinlichkeit einer Polumkehr und das Risiko eines vorübergehenden Verlustes des magnetischen Schutzschildes. Paläomagnetische Daten belegten sogar, dass selbst nach einer 90prozentigen Feldabschwächung die Polumkehr nicht zwingend erfolge.

Was wären die Folgen einer Umpolung des Erdmagnetfeldes? In den vergangenen 150 Millionen Jahren gab es statistisch etwa alle 200 000 bis 500 000 Jahre eine Umkehr. Globale Artensterben sind diesen Ereignissen nicht eindeutig zuzuordnen. Vermutlich sind auch die Folgen auf den alljährlichen Vogelzug gering, erklärt der dänische Ornithologe Henrik Mouritsen, Professor für Neurosensorik an der Universität Oldenburg. Zugvögel verließen sich auf Interkontinental-Flügen nicht allein auf ihren Magnetsinn.

Für die Hightech-Welt mit ihrer empfindlichen Elektronik ist das Erdmagnetfeld allerdings ein wichtiger Schutz. Wenn es schwach wird, kann es nicht so gut vor Sonnenstürmen schützen, bei denen unser Zentralgestirn gewaltige Mengen elektrisch geladene Teilchen ins All schießt. Bedroht sind dabei vor allem schlecht abgeschirmte kommerzielle Mikrochips. Geostationäre Telekommunikations-Satelliten in 36 000 Kilometern Höhe könnten ausfallen. Außerdem besteht das Risiko von Überspannungen in Stromleitungen in Europa und Nordamerika. Im schlimmsten Fall würden Millionen Menschen ohne Strom, Heizung und Kommunikationsmöglichkeiten festsitzen. Dieses Risiko bestehe allerdings auch heute bei starken Sonnenstürmen, so Matzka.

"Wir sehen derzeit keine Auswirkungen durch eine Abschwächung des Erdmagnetfeldes oder eine vollständige Polumkehr auf die Stabilität unseres Höchstspannungsnetzes", erklärt der Stromnetzbetreiber Amprion, der auch das Fernleitungsnetz im Saarland betreibt. "Generell verfolgen wir die Fachdiskussionen und weltweiten Forschungen zu allen Themen, welche den Betrieb unseres Netzes beeinflussen könnten, sehr intensiv", so Sprecherin Solveig Wright.

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Das Magnetfeld existiert seit 3,5 Milliarden Jahren Jede Veränderung des Erdmagnetfeldes hinterlässt Spuren in der Erdkruste. Die Informationen über Richtung und Intensität sind dabei in mikroskopisch kleinen Eisenoxidpartikeln in Sedimenten gespeichert. Auch bei der Abkühlung vulkanischer Gesteine wird die Ausrichtung des Erdmagnetfelds in magnetischen Partikeln konserviert. Auf diese Weise können Geologen die frühere Lage der geomagnetischen Pole rekonstruieren. Die Forschung geht heute davon aus, dass die Erde bereits seit 3,5 Milliarden Jahren ein starkes elektromagnetisches Feld mit zwei Polen erzeugt.

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