Programmieren lernen mit einem Puzzle-Spiel

Saarbrücken · Schüler im Saarland sollen künftig im Unterricht die Grundlagen der Digitaltechnik vermittelt bekommen. Dazu läuft derzeit ein Pilotprojekt mit dem Mini-Computer Calliope. Zwei Grundschülerinnen haben das Gerät für die Saarbrücker Zeitung getestet.

 Die beiden Viertklässlerinnen Paula Raisig (10, links) und Mia-Martha Brenner (9) programmieren den Mini-Computer Calliope. Das Programm wird über einen Editor auf einem Computer mit Internetanschluss geschrieben. Daraus wird eine Datei erzeugt, die sich auf das Gerät herunterladen lässt. Foto: Reinhardt

Die beiden Viertklässlerinnen Paula Raisig (10, links) und Mia-Martha Brenner (9) programmieren den Mini-Computer Calliope. Das Programm wird über einen Editor auf einem Computer mit Internetanschluss geschrieben. Daraus wird eine Datei erzeugt, die sich auf das Gerät herunterladen lässt. Foto: Reinhardt

Foto: Reinhardt

In Franz Kafkas Erzählung "Die Sorge des Hausvaters" wird die Hauptfigur von einem geheimnisvollen Wesen namens Odradek heimgesucht, das sich in seinem Haus breitmacht. Odradek sieht aus wie eine "flache sternartige Zwirnspule". Was seine Bestimmung ist, weiß niemand. Aber man kann ihn ansprechen. "Natürlich stellt man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt ihn - schon seine Winzigkeit verführt dazu - wie ein Kind."

Kafkas Parabeln gelten vielen als prophetische Visionen. Dass es aber hundert Jahre nach Entstehung seines Textes einen pädagogischen Mini-Computer gibt, der große Ähnlichkeiten mit seiner Beschreibung aufweist, ist wohl eher ein kurioser Zufall. Das Gerät, das das Potenzial habe, "unser Schulsystem zu revolutionieren", wie die Wochenzeitung Die Zeit auf ihrer Webseite behauptet, heißt Calliope. Benannt ist es nach der ranghöchsten griechischen Muse, zuständig für epische Dichtung und Wissenschaft.

"Das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen", heißt es in Kafkas Text über Odradek. Im Gegensatz dazu ist der Sinn des Calliope klar: Der Mini-Computer soll Kinder und Jugendliche mit der Digitaltechnik vertraut machen und ans Programmieren heranführen. Mit spielerischen Mitteln, schreibt der Hersteller auf seiner Webseite, würden sie so "sowohl Begeisterung für die Möglichkeiten als auch ein Gefühl für die Gefahren" der Computertechnik vermittelt bekommen. Ziel sei es, jedem Kind in Deutschland ab der dritten Klasse ein Gerät samt Lehrkonzept zur Verfügung zu stellen.

Das Saarland soll dabei eine Vorreiterrolle spielen. Der Calliope wird seit Beginn des Schuljahres an den Saarbrücker Grundschulen Wiedheck und Rastpfuhl eingesetzt. Seit Februar steht der Minicomputer prinzipiell allen saarländischen Schülern ab der dritten Klasse zur Verfügung, erklärt Pressesprecherin Marija Herceg vom saarländischen Bildungsministerium. Voraussetzung sei, dass die Lehrer zuvor eine passende Fortbildung beim Landesinstitut für Pädagogik und Medien gemacht haben. Die Schulungen für die Lehrer beginnen im März. Der Einsatz im Unterricht sei freiwillig. "Bisher haben sich 31 Schulen für die Fortbildungen angemeldet", sagt Herceg.

Mit dem Hersteller, der gemeinnützigen Calliope GmbH, sei vereinbart, dass das saarländische Landesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM) zum Februar 1000 Calliope zur Verfügung gestellt bekommt, so Marija Herceg. Diese würden an jene Schulen verteilt, deren Lehrkräfte an einer Fortbildung teilgenommen haben. Sollte der Bedarf höher liegen, könnten weitere Geräte bestellt werden. Zum Schuljahr 2017/18 sei die Lieferung von mindestens weiteren 7000 Calliope möglich. Doch können die Kinder damit wirklich etwas anfangen? Das wollte die Internetredaktion der Saarbrücker Zeitung herausfinden und hat zwei Grundschülerinnen gebeten, das Gerät einmal auszuprobieren.

Die beiden Viertklässlerinnen Paula Raisig (10) und Mia-Martha Brenner (9) wollen das Experiment wagen. Für sie ist es tatsächlich Neuland. Ihr Traumberuf hat momentan wenig mit Programmierung zu tun. Sie wollen Schauspielerinnen werden, vielleicht auch Tänzerinnen. Mit Smartphones und Tablets kennen sie sich aus - aber nur als Nutzer. Wie die Technik dahinter funktioniert, ist ihnen ein Rätsel. Bisher haben sie sich damit auch noch nicht beschäftigt. "Wir habe zwei Schul-Computer. Da sieht man nur Jungs dran, die echte Mathe-Genies sind." Trotzdem sind sie interessiert zu erfahren, wie so ein Computer eigentlich funktioniert. "Ich finde toll, dass es solche Angebote gibt", sagt Mia-Martha.

Also präsentiert die SZ-Redaktion ihnen den Mini-Computer Calliope. Der erste Eindruck fällt nicht sonderlich begeistert aus: "Ein bisschen langweilig" sehe der Stern aus, "platt und komisch". Mit den grauen Punkten in der Mitte des Geräts können die Mädchen zunächst nichts anfangen. Als der Calliope aber angeschlossen wird und die grauen Dioden rot zu leuchten beginnen, erstrahlen auch die Gesichter der beiden. "Das ist ja cool", freuen sie sich.

Die ersten Schritte bei der Bedienung klappen gut. Die Punkte bilden ein rotes A; daraufhin drücken sie die entsprechende Taste und erhalten ein Häkchen als Bestätigung. Sie drücken B - das gleiche Ergebnis. Dann geht es ein bisschen zu schnell: Was stand da gerade? "A+B" müssen nacheinander gedrückt werden, wird ihnen erklärt. "Schütteln" können sie dann wieder lesen - und folgen der Aufforderung etwas verhalten.

Nachdem sie noch kurz das vorinstallierte Spiel Snake ausprobiert haben, geht es zur eigentlichen Herausforderung: Die Mädchen sollen selbst ein Programm für das Gerät schreiben. Sie überlegen voller Enthusiasmus, was sie alles programmieren könnten. Weil das Gerät auch Töne erzeugen kann, wollen sie es mit dem Lied "Alle meine Entchen" versuchen.

Zunächst scheint das ein ganz simpler Befehl zu sein: Wenn man den Knopf "B" drückt, soll das Lied gespielt werden. Doch wie erklärt man das dem Calliope? Um dem Gerät etwas zu befehlen, muss es an einen Computer mit Internetverbindung angeschlossen. Auf der Seite calliope.cc gibt es eine Software, mit der sich Programmcode schreiben lässt. Weil das für die jungen Menschen viel zu schwer wäre, gibt es einen besonderen Kniff: Die einzelnen Bestandteile des Codes werden als bunte Blöcke dargestellt, die wie ein Puzzle zusammengesetzt werden können.

Die Mädchen ziehen also das Puzzlestück "Wenn Knopf B gedrückt" auf die Programmierfläche. Damit ist die Voraussetzung definiert. Was soll dann passieren? Unter dem Menüpunkt "Musik" gibt es den Befehl "Spiele Note C für 1 Takt". Das könnte doch funktionieren. Sie probieren die Simulation auf dem Bildschirm aus. Da erklingt ein leiser Ton, schnell den Lautsprecher am Computer lauter stellen.

Ein Ton ist aber noch kein Lied. Und nun beginnen die Schwierigkeiten: Welche Töne sind das jetzt genau? Da hilft nur Ausprobieren. Die Tonleiter hochzuspielen, funktioniert ganz gut. Aber wenn sie zweimal den gleichen Ton hintereinander setzen, gibt es nur einen lang gezogenen Laut. Also muss man eine Pause dazwischen setzen. Mia sucht nach dem Puzz-lestück, auf dem Pause steht. Zunächst setzt sie es ans untere Ende des Puzzles. "Du musst es zwischen die Töne setzen", sagt Paula. Und tatsächlich: Beim Abspielen lassen sich die beiden Töne gut auseinanderhalten.

Mit viel Ausprobieren nimmt das Stück allmählich Form an. Die Mädchen sitzen schon seit einer halben Stunde an dem Programm, aber die Lust verlieren sie nicht. "Mittlerweile weiß man, wie's geht."

Allerdings bekommen sie auch gleich eine wichtige Lektion in Sachen Programmierung: Sie merken, dass es auf jeden kleinen Schritt ankommt. Jeder einzelne Ton und jede einzelne Pause müssen sitzen. "So leicht ist es nicht, man sitzt ziemlich lange dran - und das bei einem so kurzen Lied", meint Mia-Martha.

Nach einer dreiviertel Stunde hört es sich schon ganz ordentlich an. Nur der Schluss macht Probleme. Irgendwann verlieren die Mädchen etwas die Disziplin und werfen die Töne wild durcheinander. Zum Schluss klingt das Stück nicht mehr wie ein simples Kinderlied, eher nach avantgardistischer Zwölftonmusik.

Dennoch war das Experiment für die Kinder ein Erfolg. "Das macht ganz schön Spaß. Ich hätte gedacht, man muss sich den Kopf zerbrechen, aber es ist eher so wie ein Spiel. Ganz schön cool eigentlich", sagt Mia-Martha.

calliope.cc

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 Der Mini-Computer Calliope soll das Bildungswesen revolutionieren. Foto: Calliope gGmbH

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Was ist der Calliope mini und wer bezahlt ihn? Der Calliope mini ist ein sogenannter Mikrocontroller, also ein Ein-Chip-Computersystem. Er besteht aus einer sternförmigen Platine, auf der ein Mikroprozessor als Verarbeitungseinheit, ein LED-Feld aus 25 Dioden zur Anzeige sowie zwei Tasten zur Eingabe montiert sind. Das Gerät verfügt über einen USB-Anschluss und eine Bluetooth-Verbindung. Dank eingebauter Sensoren kann der Calliope auf bestimmte Bewegungen reagieren oder Temperaturen messen. Über einen integrierten Lautsprecher kann das Gerät Töne senden, über ein Mikrofon auch aufnehmen. Außerdem lassen sich Motoren anschließen. Finanziert wird das Projekt laut Angaben des Trägers, der gemeinnützigen Calliope GmbH, aus drei Quellen: durch Stammkapital der Gründer, durch Sponsoren sowie durch den Verkauf des Calliope Mini.

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