Beton-Batterie im Bodensee

Saarbrücken · Wind- und Sonnenenergie sind eine feine Sache. Doch was tun, wenn's dunkel ist und Flaute herrscht? Zwei Physiker haben nun eine verblüffend einfache Idee für einen Energiespeicher vorgestellt, der in diesem Fall einspringen soll. Er wird bereits am Bodensee getestet.

 Mit diesem drei Meter messenden Prototyp wird die Technik der Unterwasser-Batterie im Bodensee getestet. Foto: Fraunhofer/IWES

Mit diesem drei Meter messenden Prototyp wird die Technik der Unterwasser-Batterie im Bodensee getestet. Foto: Fraunhofer/IWES

Foto: Fraunhofer/IWES

Alle reden von der Energiewende. Doch damit die erneuerbaren Energien die Kurve kriegen, fehlt noch ein wesentlicher Baustein im Konzept der Öko-Stromversorgung. Ein Akku ist notwendig, der überschüssige Energie speichert, wenn die Sonne scheint und der Wind aus vollen Backen bläst - und der angezapft werden kann, sobald Wind- oder Solarenergie schwächeln. Dies muss ein wirklich großer Energiespeicher sein, angesichts von rund 600 Terawattstunden (600 Milliarden kWh) elektrischer Energie, die jährlich allein in Deutschland verbraucht werden.

Genau besehen, so erklärt Gerhard Luther von der Forschungsstelle Zukunftsenergie der Universität des Saarlands, werden sogar zwei Typen dieser Energiespeicher benötigt. Langfristpuffer sollen einen Dunkelflaute genannten längeren Durchhänger der Wind- und Solarkraftwerke kompensieren. Kurzfristspeicher haben die Aufgabe, Lücken im Bereich von höchstens wenigen Tagen zu überbrücken.

Als Langfristpuffer werden Gasspeicher genutzt, erklärt der promovierte Physiker , für den Kurzfristspeicher haben Gerhard Luther und der Frankfurter Professor Horst Schmidt-Böcking jetzt eine neue Idee ins Spiel gebracht: das Meer-Ei. Riesige Hohlkugeln aus Beton, in mehreren Hundert Metern Tiefe am Meeresgrund aufgestellt, sollen überschüssige elektrische Energie speichern, die nicht in das Stromnetz eingespeist werden kann. Wenn die Spannungskurve der Solarmodule nachts auf Null fällt oder dem Wind die Puste ausgeht, soll die am Meeresgrund gespeicherte Energie wieder abgerufen werden.

Die Idee der beiden Erfinder ist schnell erklärt. Der Akku am Meeresgrund speichert Energie durch den Aufbau einer Druckdifferenz: Wenn Windräder und Solarmodule mehr Strom produzieren als abgenommen werden kann, wird aus der Betonkugel am Meeresgrund das Wasser herausgepumpt. In der Kugel entsteht so fast ein Vakuum - und damit ein enormer Druckunterschied zum umgebenden Meerwasser. In 700 Metern Tiefe beträgt diese Differenz 70 bar. Soll Strom produziert werden, wird ein Ventil geöffnet und das Wasser schießt zurück in den Hohlraum. Es wird dabei durch eine Turbine geleitet und erzeugt so elektrische Energie. Die beiden Erfinder, die zu ihrer Idee Patente besitzen, denken in gewaltigen Dimensionen. 30 Meter Durchmesser soll ein Beton-Ei am Meeresgrund messen. In 700 Metern Wassertiefe könnte es rund 20 Megawattstunden Energie speichern. Das entspricht dem Fünffachen des jährlichen Stromverbrauchs eines Durchschnittshaushalts. Und von diesen Meer-Eiern ließen sich Hunderte legen.

In größere Tiefen vorzudringen, wäre zwar vielversprechend, weil die Energieausbeute proportional zum Wasserdruck steigt, so Gerhard Luther. Trotzdem mache das wenig Sinn, weil es geeignete Pumpturbinen derzeit nur für Tiefen bis 1000 Meter gibt.

Die Nordsee, deren mittlere Tiefe weniger als 100 Meter beträgt, scheint auf den ersten Blick wenig attraktiv für derartige Energie-Eier, aber auch hier gibt es eine Möglichkeit. "Geeignet dafür wäre die norwegische Rinne", erklärt Luther. Sie verläuft vor der Westküste Norwegens bis in den Skagerrak und ist an ihrer tiefsten Stelle rund 700 Meter tief.

Ist das Ganze mehr als nur ein interessantes physikalisches Gedankenexperiment? Der Test der Praxistauglichkeit des Konzepts ist am Bodensee bereits im Gang. Mit im Boot sind hier unter anderem der Baukonzern Hochtief und das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme in Kassel.

Die Ingenieure testen bei Überlingen eine stark verkleinerte Version des Energiespeichers. Das Bodensee-Ei hat nur drei Meter Durchmesser. Die 20 Tonnen schwere Betonkugel wurde 100 Meter tief auf den Grund des größten deutschen Binnengewässers heruntergelassen. In den nächsten Wochen sollen die Konstruktion des Druckbehälters, der Pumpturbine und die Einbindung ins Stromnetz untersucht werden.

Geht bei dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt Stensea (Stored Energy in the Sea) alles glatt, erhofft sich Gerhard Luther den nächsten großen Schritt. "Dann muss über die finanzielle Beteiligung der Industrie gesprochen werden." In diesem Fall steht der Bau des 30 Meter großen Prototyps zur Debatte, der dann in der Norwegischen Rinne 700 Meter tief versenkt werden soll. Mit einem Gewicht von 20 000 Tonnen wird das ein Projekt einer völlig anderen Größenordnung. "Doch wir müssen hier in großen Dimensionen denken", erklärt der Saarbrücker Physiker . "Wir reden schließlich über die zukünftige Energieversorgung Europas."

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