Dr. Watson hilft beim Arzt

Programme der Künstlichen Intelligenz sind auf dem Vormarsch. KI-Module dringen dabei nun auch in Bereiche vor, die bisher als absolute Domäne des Menschen galten. Das Computerprogramm Watson des IBM-Konzerns wird zum Beispiel in der Krebsmedizin eingesetzt.

 Das Andersen-Krebszentrum der Universität Texas nutzt das IBM-Programm Watson als Hilfe bei der Leukämie-Behandlung. Hier ruft die Ärztin Dr. Courtney DiNardo Werte eines Patienten aus der Datenbank ab. Foto: IBM

Das Andersen-Krebszentrum der Universität Texas nutzt das IBM-Programm Watson als Hilfe bei der Leukämie-Behandlung. Hier ruft die Ärztin Dr. Courtney DiNardo Werte eines Patienten aus der Datenbank ab. Foto: IBM

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Stuttgart. Die Internetsuche wird intelligenter. Versteht ein Computerprogramm nicht, was der Nutzer möchte, soll die Maschine künftig nachfragen. So hat der US-amerikanische Outdoorspezialist The North Face angekündigt, mit Hilfe des IBM-Konzerns eine neue Produktsuche auf seiner Webseite aufbauen zu wollen. Der Nutzer gibt seine Frage direkt ein. Etwa: "Im Oktober will ich zwei Wochen durch Vermont wandern. Was brauche ich dafür?" Im Dialog zwischen Mensch und Maschine soll dann die Ausrüstungsliste für die Tour zusammengestellt werden. Prinzipiell sind der maschinellen Intelligenz im Dialog keine Grenzen gesetzt: Die Software könnte Erfahrungen und Ambitionen des Nutzers ebenso berücksichtigen wie das typische Wetter in der Region im Oktober und die Dauer der Tour.

Hinter dieser Suche steht das Software-System Watson von IBM . Das hatte 2011 auf sich aufmerksam gemacht, als es in der US-amerikanischen Quiz-Sendung Jeopardy seine menschlichen Gegner schlug.

Watson arbeitet in drei Schritten. Erstens das Sprachverständnis : Was sagt und will der Nutzer? Dann Analyse, Suche und Verknüpfung in Datenbanken, woraus die Software Hypothesen generiert. Drittens lernt die Maschine, indem sie Antworten und Reaktionen des Nutzers in den Wissensbestand integriert. Vier Jahre Entwicklungsarbeit einer zwanzigköpfigen IBM-Forschergruppe steckten bereits in Watson, als der in der Quizsendung an den Start ging. "Die damaligen Hardwareanforderungen waren groß", erklärt Frank Hartmann von IBM Deutschland, denn die Maschine sollte in maximal einer Sekunde antworten.

Andere Anwendungen verlangen keine so extrem kurze Antwortzeit. Darauf haben sich die Forscher und Entwickler alsdann gestürzt. Inzwischen ist Watson ein eigenständiges Geschäftsfeld bei IBM . Über 2000 Mitarbeiter werkeln an dem System, das aus Hunderten von Modulen besteht, die für jedes Projekt spezifisch zusammengefügt werden.

Eine der ersten Anwendungen war Watson Oncology - ein System, das den Arzt bei Diagnose und Therapiewahl von Krebsleiden unterstützt. "Ich war erst skeptisch, dass wir bei den Anwendungen zuerst in die Medizin gingen, wurde aber schnell eines Besseren belehrt", erklärt Hartmann. Die Ergebnisse am Sloan Kettering Center in den USA, einer führenden Krebsklinik, seien vielversprechend. "Die Ärzte schätzen Watson als Hilfestellung und zweite Meinung", erklärt Hartmann. Das liege wohl auch daran, das kein Arzt alle medizinischen Studien mehr überblickt.

Watson hat diese Daten im Speicher. Der Arzt lädt die Krankenakte seines Patienten ins System. Es wertet die Daten samt verfügbarer Studien aus. Fehlt ein Parameter, fragt Watson beim Arzt nach, der schließlich alle Entscheidungen trifft.

Nun suchen die IBM-Ingenieure nach neuen Projekten für ihren digitalen Helfer. Die Bundeswehr wertet nach Angaben von Hartmann Ergebnisse von Afghanistan-Einsätzen mit Watson aus. Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen habe mit einer Watson-Installation eine Betrügerbande der organisierten Internetkriminalität dingfest gemacht. Die Polizisten zeichneten den Datenverkehr von Servern auf, über die verdächtige Aktivitäten liefen. Watson filterte aus diesem Datenwust wichtige Informationen heraus. Das Ziel der Suche bestand darin, die Daten so zu verknüpfen, dass sich die LKA-Beamten auf einen Verdächtigen konzentrieren konnten. Auch hier spielte Watson die Rolle des Assistenten.

IBM ist das größte, aber nicht das einzige Unternehmen, das sich auf diesem Gebiet umtut. Mit dem Institut für musterbasierte Prognosetechnik (Ifmpt) in Oberhausen hat unlängst eine deutsche Firma auf sich aufmerksam gemacht. Auch sie versucht, Datenanalysen für die Kriminalitätsbekämpfung nutzbar zu machen. Die Software Precobs analysiert Einbrüche und gibt der Polizei Hinweise, wo und wann auf Datenbasis vergangener und aktueller Straftaten die nächsten Einbrüche wahrscheinlich sind. Die Stadt Zürich nutzt das System, München testet es. Zunächst müssen die Beamten die Software mit Daten zu Einbrüchen füttern: Tatorte, Tatzeiten und Vorgehen der Verbrecher. Das Computerprogramm stellt dann Verknüpfungen her und versucht, Muster zu erkennen, auf die der Kollege Kommissar vielleicht nicht sofort kommt.

Aus der Finanzbranche ist der Computer schon lange nicht mehr wegzudenken. Neben realen Entwicklungen, die sich in einfach greifbaren Kennzahlen spiegeln, spielen an der Börse aber ebenso Stimmungen und Meinungen eine Rolle. Ulli Spankowski, Finanzökonom aus Stuttgart, hat sich mit seinem Startup-Unternehmen Sowa-Labs darauf spezialisiert. Es durchforstet Twitter-Nachrichten nach Informationen und ordnet diesen sogenannte Stimmungswerte zu.

Die Grundlagen haben Spankowski und seine Forscherkollegen im EU-Projekt First gelegt, in dem Programme zur Analyse sozialer Medien entwickelt wurden. "Die Forschungsergebnisse waren so überzeugend, dass wir unbedingt daran weiterarbeiten wollten", sagt der Finanzwirtschaftler.

Das System Watson kann je nach Ausbaustufe aus bis zu zehn Serverschränken mit 15 Terabyte Arbeitsspeicher und 2800 Prozessoren bestehen. Der Einstiegspreis für diese Technik ist sechsstellig, große System können einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Weltweit sind laut Hartmann 15 bis 20 große Systeme installiert, daneben Hunderte kleinere Anwendungen.

Kochen kann das Computerprogramm Watson übrigens auch. Datenbasis seiner Chefkoch-Anwendung seien Kochbücher und -rezepte gewesen, so Frank Hartmann. "Aus der Kombination hat Watson neue Menüs kreiert." Ziel sei es dabei gewesen, durch neue Zutatenkombinationen neue Geschmackserlebnisse zu ermöglichen. Sterneköche, die diese Menüs verkosten sollten, seien zuerst skeptisch gewesen. Doch das Ergebnis habe dann viele beeindruckt. Andererseits zeigt dieses Beispiel auch die Einschränkungen des Computersystem. Es kombiniert Vorhandenes neu. Es schafft nichts Neues. "Das Wissen muss in den Daten schon enthalten sein", so Frank Hartmann.

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