Wie Sprache Grenzen überwindet

Saarbrücken · In dieser Woche trifft sich die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft zu ihrer Jahrestagung in Saarbrücken. Zu den aktuellen Fragen des Fachs gehört auch, wie Flüchtlingskinder ins deutsche Schulsystem integriert werden können.

 Flüchtlingskinder wie hier in einer sogenannten Willkommensklasse in Frankfurt (Oder) müssen nicht nur den Unterrichtsstoff lernen, sondern auch die deutsche Sprache. Das ist für viele Fachlehrer eine Herausforderung. Foto: Pleul/dpa

Flüchtlingskinder wie hier in einer sogenannten Willkommensklasse in Frankfurt (Oder) müssen nicht nur den Unterrichtsstoff lernen, sondern auch die deutsche Sprache. Das ist für viele Fachlehrer eine Herausforderung. Foto: Pleul/dpa

Foto: Pleul/dpa

"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt", schrieb der Philosoph Ludwig Wittgenstein. In den vergangenen Monaten sind zahlreiche Menschen über die deutsche Grenze gekommen, in eine für sie unbekannte Welt. Um sich in ihr zurechtzufinden, müssen sie sich die deutsche Sprache aneignen.

Das gilt besonders für junge Menschen, die ins Schulsystem aufgenommen werden. Aber auch für die Lehrer hierzulande ist das eine große Herausforderung. Und nicht nur für die Deutschlehrer, erklärt die Sprachwissenschaftlerin Stefanie Haberzettl von der Universität des Saarlandes. "Wie soll ein Schüler in Mathe eine Textaufgabe lösen, wenn er die Sprache nicht versteht?"

Mit diesem Problem und der Präsentation von Lösungsvorschlägen beschäftigt sich die Lehramtsinitiative der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft. Ihr Treffen findet im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft statt, die in diesem Jahr zum zweiten Mal nach 1990 in Saarbrücken gastiert. 700 Sprachwissenschaftler aus Deutschland und der ganzen Welt treffen sich in dieser Woche, um aktuelle Problem des Fachs zu diskutieren, erklärt Professor Ingo Reich von der Saar-Universität, der gemeinsam mit seinem Kollegen Augustin Speyer für die Organisation der Tagung zuständig ist.

Beim Treffen der Lehramtsinitiative werden Alternativen vorgestellt und diskutiert, wie Schüler aus dem Ausland am besten integriert werden können. Eine Möglichkeit sind sogenannte Willkommensklassen. Das sind Schulklassen, in denen Neuankömmlinge separat unterrichtet werden, um sie erst einmal an die Sprache heranzuführen. In der Fachwelt wird dieser Weg eher kritisch gesehen, erläutert Haberzettl. Die meisten sehen darin ein Integrationshemmnis. Es sei wichtig, so viel Kontakt wie möglich zu Gleichaltrigen aus Deutschland zu haben.

Man habe aber kein Patentrezept zur Integration, denn an jeder Schule sei die Situation anders. "Wir möchten Grundlagenwissen und Möglichkeiten vorstellen, bei denen sich die Lehrer etwas abschauen können", so Haberzettl. Zum Grundlagenwissen gehört etwa: Wie werden eigentlich fremde Sprachen gelernt? Was passiert da im Kopf? Welche Faktoren führen zum Erfolg? Was macht das Lernen der deutschen Sprache so schwer?

Das Deutsche gilt als schwierig, aber ist es eigentlich problematischer als andere Sprachen? "Die Komplexität der verschiedenen Sprachen ist vergleichbar, aber sie wird auf anderen Wegen erreicht", erläutert Ingo Reich. Das Englische etwa habe einen größeren Wortschatz, dafür habe das Deutsche einen größeren Formenreichtum. Das Englische habe eine feste Wortstellung, das Deutsche sei variabler. Dafür gebe es im Deutschen weniger Zeiten.

Wobei: Wo es im Englischen die Present Progressive-Form gibt, die ausdrückt, dass etwas gerade im Moment geschieht, gibt es im Deutschen immerhin die sogenannte rheinische Verlaufsform: "Ich bin Kaffee am Kochen." Viele würden darüber vielleicht die Nase rümpfen und es als schlechtes Deutsch bezeichnen. Die Einstellung der Sprachwissenschaft habe sich in dieser Hinsicht jedoch gewandelt. "Solche Bildungen gelten nicht mehr einfach als ‚falsch‘, sondern sie werden adäquat beschrieben", sagt Reich. Sein Kollege Speyer ergänzt: "Woher kommt die Norm eigentlich? Man hat lateinische Schulgrammatik auf das Deutsche angewandt. Aber die Umgangssprache ist die Form, in der tatsächlich kommuniziert wird." Die Norm sei etwas Lebendiges, das sich verändere und auch Formen hinzunehmen könne, die vorher nicht anerkannt waren. Darum können die Wissenschaftler auch mit der oft geäußerten Klage vom Verfall der Sprache nichts anfangen. Sie sei keineswegs weniger komplex als vor einigen Jahrzehnten, geschweigen denn einigen Jahrhunderten.

Und wie sieht es mit der digitalen Kommunikation aus, wie sie in SMS und den sozialen Netzwerken stattfindet? Die sei zwar in der Tat oft weniger komplex, aber sprachwissenschaftlich sehr interessant, sagt Ingo Reich. "Sie lehnt sich an das Mündliche an." Darum habe sie auch Elemente der direkten Kommunikation, die in die Schriftsprache normalerweise nicht eingehen. Emojis oder Bildungen wie der Ausdruck "grins*" seien Beispiele solcher Kommunikationsformen. "Damit lässt sich wunderbar eine emotionale Ebene transportieren. Dafür sind sie auch gemacht", sagt Reich.

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