"Vollbeschäftigung nicht vor 2020"

Herr Weise, gehen die Regierungspläne bei der Arbeitsmarktförderung zu Lasten der Arbeitslosen?Weise: Nein, nicht vom ursprünglichen Ansatz her. Wir selbst haben uns eine Überprüfung der Fördermaßnahmen gewünscht, um dezentral deutlich mehr Handlungsspielraum im Interesse der Arbeitslosen zu gewinnen. Unsere Absicht war nicht, Geld zu sparen.Aber die Regierung will sparen

Herr Weise, gehen die Regierungspläne bei der Arbeitsmarktförderung zu Lasten der Arbeitslosen?Weise: Nein, nicht vom ursprünglichen Ansatz her. Wir selbst haben uns eine Überprüfung der Fördermaßnahmen gewünscht, um dezentral deutlich mehr Handlungsspielraum im Interesse der Arbeitslosen zu gewinnen. Unsere Absicht war nicht, Geld zu sparen.

Aber die Regierung will sparen. So ist geplant, den Gründungszuschuss für arbeitslose Existenzgründer einzudämmen, obwohl er sich in der Praxis bewährt hat. Können Sie das ruhigen Gewissens rechtfertigen?

Weise: Wenn man sparen muss, dann ist die Frage berechtigt, ob eine beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung Selbstständigkeit unterstützen muss, die keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist. Die Krux besteht darin, dass das Instrument gut wirkt, aber ordnungspolitisch zweifelhaft ist. Es völlig zu streichen, hielte ich für unverantwortlich.

Unter dem Strich sollen die Arbeitsagenturen in den nächsten Jahren Milliarden sparen. Droht Ihre Behörde damit, nachhaltig ins Minus zu rutschen?

Weise: Wenn alles gut geht, dann können wir die Reduzierung der Bundeszuweisungen, die ausdrücklich zur Beitragssenkung gedacht waren, durch eine gute wirtschaftliche Entwicklung kompensieren. Problematisch ist aber, dass wir wieder Rücklagen aufbauen müssten, die sich bei der letzten Krise enorm bewährt haben. Davon wurde zum Beispiel das Kurzarbeitergeld bezahlt. Dies wird nicht mehr möglich sein.

Deutschland hat zunehmend ein Fachkräfteproblem. Die CSU sagt, das lässt sich durch die Qualifizierung einheimischer Arbeiter lösen. Was meinen Sie?

Weise: Als erstes müssen die Menschen bei uns Unterstützung bekommen. Dabei geht es auch um eine höhere Frauenerwerbsquote. Vor allem in Vollzeit. Es ist schon eindeutig, dass das inländische Beschäftigungspotenzial nicht reicht, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Das macht gezielte Zuwanderung notwendig.

In welcher Größenordnung?

Weise: Bis 2025 benötigen wir etwa zwei Millionen qualifizierte Zuwanderer.

Die Menschen sollen wegen der demografischen Entwicklung länger arbeiten. Müsste da nicht das vor drei Jahren verlängerte Arbeitslosengeld für über 50-Jährige rückgängig gemacht werden?

Weise: Das kann eine Überlegung der Politik sein, wenn die Beschäftigungschancen Älterer steigen. Eine längere Lebensarbeitszeit bedingt, dass es keine Anreize geben darf, früher aus dem Erwerbsleben auszusteigen. Wenn die Stellen vorhanden sind, passt nicht in die Welt, was dazu beiträgt, den Arbeitsplatz vorzeitig zu räumen.

Nahezu alle Wirtschaftsprognosen verheißen Deutschland einen lang anhaltenden Aufschwung. Wann kommt die Vollbeschäftigung?

Weise: Schon heute gibt es Regionen mit einer Arbeitslosenquote von unter zwei Prozent, aber auch von weit über zehn Prozent. Nach unserer Prognose werden die Unterschiede in den nächsten zehn Jahren weiter beträchtlich sein. Erst 2020 lässt sich möglicherweise von Vollbeschäftigung im bundesweiten Maßstab sprechen. Für 2011 könnte die Arbeitslosenzahl im Schnitt unter die Drei-Millionen-Marke fallen

Sogar aus der Union kommt jetzt die Forderung nach einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Wäre das sinnvoll?

Weise: Es ist psychologisch wichtig und auch anständig, dass Menschen in Vollzeitarbeit ein existenzsicherndes Einkommen erzielen können. Ich kann doch kaum jemanden motivieren, stets pünktlich aufzustehen und zum Job zu gehen, wenn der Ertrag auf Dauer nicht zum Leben reicht. Aber ich sehe dieses Thema bei der Politik und den Tarifparteien.

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