So viele Hartz IV-Verstöße wie nie Niedriglohn greift immer weiter um sich

Nürnberg/Saarbrücken. Die Jobcenter haben innerhalb eines Jahres so viele Sanktionen wie noch nie gegen Hartz-IV-Empfänger verhängt: Erstmals gab es von August 2011 bis Juli 2012 bundesweit über eine Million Leistungskürzungen. Dies berichtet die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA)

Nürnberg/Saarbrücken. Die Jobcenter haben innerhalb eines Jahres so viele Sanktionen wie noch nie gegen Hartz-IV-Empfänger verhängt: Erstmals gab es von August 2011 bis Juli 2012 bundesweit über eine Million Leistungskürzungen. Dies berichtet die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Im Schnitt seien die staatlichen Leistungen 2011 pro Betroffenem um 116 Euro gekürzt worden. Der Hartz-IV-Regelsatz für Singles beträgt 374 Euro monatlich.Nach Angaben der Bundesagentur sind Meldeversäumnisse der häufigste Grund für Abstriche. Kürzungen des Arbeitslosengeldes II drohen etwa, wenn Arbeitslose nicht zu Terminen im Jobcenter erscheinen. Von den 1,017 Millionen Sanktionen von August 2011 bis Juli 2012 entfielen 680 000 auf diese Kategorie. Dass sich gerade diese Sanktionen häufen, habe zwei Gründe: Zum einen weniger personelle Fluktuation in den Jobcentern als in den Vorjahren. Dadurch kennen die Vermittler ihre Kunden besser und arbeiten professioneller. Zum anderen verfügten die Vermittler wegen der großen Nachfrage nach Arbeitskräften aus der Wirtschaft über mehr freie Stellen als in schwierigen Zeiten. Vermittler würden Hartz-IV-Betroffene deshalb öfter in die Jobcenter einladen, um Jobangebote zu machen. Entsprechend häufiger versäumten Betroffene vereinbarte Termine.

Im Saarland kommen die meisten Hartz-IV-Empfänger ihren Verpflichtungen nach, betont Eva Schmidt, die Pressesprecherin der Regionaldirektion Saarland der Bundesagentur. Von August 2011 bis Juli 2012 wurden an der Saar 9900 Sanktionen verhängt. In dieser Zahl enthalten sind Einzelfälle und mehrfach verhängte Strafen. Gemessen an 54 300 Arbeitslosen insgesamt liege die Quote der von Sanktionen Betroffenen bei 2,5 Prozent. "Das ist nicht viel im Vergleich zu anderen deutschen Regionen", betont Schmidt. Bundesweit liegt die Quote im Schnitt bei 3,3 Prozent. Auch an der Saar seien Meldeversäumnisse mit 60 Prozent der Fälle häufigster Grund für Sanktionen. Gefolgt von der Weigerung, eine Arbeit oder eine Ausbildung anzunehmen. Bis hin zu nicht erbrachten Vorgaben der Vermittler.

Das Gesetz sieht Abstufungen von Sanktionen vor, erläutert Schmidt. Fällt der Betroffene einmal auf, erfolgt eine Kürzung der Leistungen zum Lebensunterhalt von 374 Euro um 30 Prozent für die Dauer von drei Monaten. Aufwendungen für Miete und Heizung sind nicht betroffen. Nach einem erneuten Verstoß werden 60 Prozent vom Regelbedarf abgezogen, in der nächsten Stufe erfolgt die Streichung des Arbeitslosengeldes II, sofern nicht mindestens ein Jahr seit dem letzten Vorfall vergangen ist.

Seit Anfang 2013 wurden in der Zuständigkeit der Regionalagentur Saar 5600 Sanktionen verhängt. Davon entfielen 2700 auf den Stadtverband Saarbrücken, 700 auf den Kreis Merzig-Wadern, 700 auf den Kreis Neunkirchen. Die Zahl der Fälle habe im Vergleich zum Vorjahr weder deutlich zu- noch abgenommen, betont Schmidt. Allerdings seien Männer deutlich häufiger von Sanktionen betroffen als Frauen. Langzeitarbeitslose fielen bei Sanktionen nicht häufiger auf als andere Personengruppen. dpa/ts

Berlin. Immer mehr qualifizierte Vollzeitbeschäftigte arbeiten zum Niedriglohn. Das besagt eine Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die unserer Zeitung vorliegt. 2010 zählten 2,2 Millionen Vollzeitarbeiter mit Berufsabschluss zu Geringverdienern, 150 000 mehr als 1999. Die Hälfte aller Billiglöhner hat eine abgeschlossene Berufsausbildung.

Für die Studie hat der DGB die auch von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verwendete Definition über Niedriglöhne zugrunde gelegt. Danach zählt zu den Geringverdienern, wer in seinem Staat auf weniger als zwei Drittel des durchschnittlichen Lohns kommt. In Ländern mit hohem Einkommensniveau muss Niedriglohn nicht Armut bedeuten. Maßgebend sind auch Transferleistungen und Alter sowie Zahl der zum Haushalt gehörenden Personen. 2010 lag die Niedriglohnschwelle in Deutschland bei 1802 Euro Monatsbrutto. Der Anteil der Niedriglöhner an allen Vollzeitbeschäftigten mit Berufsabschluss betrug im Westen 16 Prozent, im Osten 19,2 Prozent. Zehn Jahre zuvor waren es bei geringeren Niedriglohnschwellen 13,4 beziehungsweise 17,3 Prozent.

Die steigende Zahl der Niedriglöhner mit Berufsabschluss passe nicht zu den Klagen vieler Betriebe über Fachkräftemangel, sagte der Arbeitsmarktexperte beim DGB-Bundesvorstand, Wilhelm Adamy. Laut Bundesagentur für Arbeit verdiente Ende 2010 jede neunte Vollzeitkraft höchstens 1500 Euro brutto im Monat. Das waren drei Millionen Menschen. Ein Drittel davon kam auf ein Monatsbrutto von maximal 1000 Euro. Unter Einschluss aller Sonderzahlungen ist das bei einer 38,5-Stunden-Woche ein Stundenlohn von nur rund sechs Euro. vet

Hintergrund

Immer mehr Menschen bekommen Leistungen aus dem Hartz-IV-Katalog schon vor der Arbeitslosigkeit. Darauf weist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in einer neuen Studie hin. Demnach bekommen rund 30 Prozent derjenigen, die nach dem Ende einer regulären Beschäftigung Arbeitslosenunterstützung erhalten, kein Arbeitslosengeld mehr, sondern Hartz IV. Jeder zweite davon bekam auch schon Hartz IV vor dem Gang in die Arbeitslosigkeit. In diesen Fällen spricht die Bundesagentur von "Aufstockern", die zusätzlich zu ihrer regulären Bezahlung noch Leistungen aus der Grundsicherung beziehen, weil ihr Gehalt sonst noch unterhalb des Grundsicherungsniveaus läge.

Um im Fall von Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben, muss ein Arbeitnehmer zuvor mindestens zwölf Monate innerhalb der letzten zwei Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. red

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