Frankreich brüskiert Kanzlerin Merkel

Brüssel. Sie gilt als Lieblingskind der Kanzlerin: die Finanztransaktionssteuer. Doch nach dem gestrigen Treffen der 27 EU-Finanzminister in Brüssel scheint es unwahrscheinlich, dass diese Abgabe auf jedes Finanzprodukt doch noch kommt

Brüssel. Sie gilt als Lieblingskind der Kanzlerin: die Finanztransaktionssteuer. Doch nach dem gestrigen Treffen der 27 EU-Finanzminister in Brüssel scheint es unwahrscheinlich, dass diese Abgabe auf jedes Finanzprodukt doch noch kommt. Denn Angela Merkel (CDU) ist bei dem Versuch, die Finanzsteuer doch wenigstens in einem kleinen Teil der Euro-Mitgliedstaaten durchzusetzen, ihr wichtigster Bündnispartner abhandengekommen: Frankreich.Ursprünglich wollte Präsident Nicolas Sarkozy nach der Sommerpause die Finanztransaktionssteuer einführen - notfalls auch im Alleingang. Zum "Erstaunen" - so Brüsseler Diplomaten - vieler Amtskollegen schwenkte der Pariser Kassenhüter François Baroin gestern plötzlich um und erklärte sich bereit, die britische "Stempelsteuer" schon ab August zu übernehmen: "Was zählt, ist das, was möglich ist." Und dieser Weg scheint möglich. 0,5 Prozent erhebt London für den Handel mit Aktien und Optionsscheinen, Geschäfte mit Devisen und Derivaten werden nicht erfasst.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der harten Widerstand erwartet hatte, deutete bereits ein Umschwenken an, als er im Kreis der Minister sagte: Wenn man die Finanztransaktionssteuer nicht wolle, müsse man über Alternativen nachdenken. Die hatte Londons Finanzstaatssekretär Marc Hoban in der Tasche: "Wir sind durchaus froh, wenn die anderen das auch übernehmen würden." Großbritannien gilt als entschlossener Gegner einer Finanztransaktionssteuer, weil man um die Attraktivität seines Börsenplatzes fürchtet. Aber auch Anders Borg, Finanzressortchef in Schweden, lehnte eine solche Abgabe strikt ab: "Für uns ist das nicht zu akzeptieren." Wenn die Minister noch im März wieder zusammenkommen, wollen sie weiter reden. Entschieden wird wohl auch dann nichts. Die dänische Ratspräsidentschaft bekam den Auftrag, bis zum Juni einen für alle akzeptablen Vorschlag vorzulegen.

Beim traditionellen Kassensturz der Finanzminister, zu dem eine Sichtung der Haushaltslage in den 27 Mitgliedstaaten gehört, kam es dagegen zum Krach. Vor allem Österreichs Finanzministerin Maria Fekter kritisierte die "unterschiedliche Behandlung von Spanien und Ungarn" durch die Kommission.

Zunächst hatten die Minister Spanien gestattet, das erlaubte Defizit für 2011 von angepeilten minus 4,4 Prozent auf minus 5,3 Prozent auszudehnen. Wegen der angespannten Wirtschaftslage, so hatte die neue Madrider Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy argumentiert, müsse Spanien ansonsten fünf weitere Milliarden einsparen, was nicht möglich sei. Dagegen plädiert die Kommission im Fall des überschuldeten Ungarn für einen Stopp aller Fördergelder ab 2013. Über eine Milliarde Euro sollten auf Eis gelegt werden, da die Regierung von Viktor Orban bei der Haushaltssanierung keine Fortschritte erzielen könne.

Meinung

Weiche Linie

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Natürlich würden die EU-Finanzminister den Vorwurf, sie hätten die Generalprobe für eine gemeinsame Haushaltspolitik vergeigt, mit Empörung zurückweisen. Und doch wirft die quasi amtliche Erlaubnis für eine höhere Verschuldung Spaniens einen Schatten auf das Vorgehen der Europäer, die sich doch mehr Haushaltsdisziplin versprochen hatten. Nun ist Spanien nicht Portugal und auch nicht Griechenland, was vor allem heißen soll: Man tut einfach alles, um zu verhindern, dass Madrid am Ende doch Hilfe vom Rettungsfonds braucht. Denn dann wäre der Katastrophenfall da, der das Netz reißen lassen könnte. Gegen die Rettung Madrids ist die Hilfe für Athen ein Schnäppchen. Die Finanzminister müssen aber darauf achten, dass die strenge Linie der Haushaltskonsolidierung glaubwürdig bleibt. Spanien darf sich solche Freiheiten höchstens einmal leisten.

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