Stolpersteine erinnern an Hatz auf Juden

Völklingen · „Reichskristallnacht“ nannten die Nazis verharmlosend die Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger am 9. November 1938. Dieser Reichspogromnacht und ihres 75. Jahrestags gedenkt nun das Aktionsbündnis Stolpersteine in Völklingen.

 Eine Rose für jedes Opfer hatten Schülerinnen und Schüler der Völklinger Gemeinschaftsschule Am Sonnenhügel bei einer Verlegeaktion (hier am früheren Haus der vierköpfigen Familie Kahn in der Poststraße 40) im vergangenen März mitgebracht. Fotos: Jenal (3), Becker & Bredel

Eine Rose für jedes Opfer hatten Schülerinnen und Schüler der Völklinger Gemeinschaftsschule Am Sonnenhügel bei einer Verlegeaktion (hier am früheren Haus der vierköpfigen Familie Kahn in der Poststraße 40) im vergangenen März mitgebracht. Fotos: Jenal (3), Becker & Bredel

17 Stolpersteine sind inzwischen in Gehsteigen vor den früheren Wohnhäusern von Opfern des Nationalsozialismus in Völklingen verlegt. Diese Gedenksteine, Messingtafeln in der Größe von zehn mal zehn Zentimetern, gehen auf das überparteiliche Aktionsbündnis Stolpersteine zurück. Die Mitglieder des Aktionsbündnisses hatten sich zuletzt am 1. September, dem Antikriegstag, getroffen, um diese Tafeln systematisch zu putzen und aufzupolieren. In der Hoffnung, dass weiterhin kräftig Spenden fließen, plant das Bündnis laut Sprecherin Caroline Conrad fürs kommende Jahr eine weitere Verlegungsaktion.

Auftakt zur Hatz auf die jüdischen Mitbürger auch in Völklingen war die Reichspogromnacht am 9. November 1938. Am kommenden 9. November steht der 75. Jahrestag dieser dramatischen Ereignisse ins Haus, und Caroline Conrad und das Aktionsbündnis erinnern aus diesem Anlass an die Opfer.

Damals kam es in Völklingen ebenso wie im gesamten Reichsgebiet zu Überfällen, Ausschreitungen und Verhaftungen gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Betroffen waren all jene, die bis dahin noch nicht geflüchtet waren. Tausende, auch die meisten Völklinger Juden, hatten aus Angst vor den Nazis bereits ihre Heimat verlassen. Conrad: "Die Reichspogromnacht war dann das Fanal für den Beginn des Massenmordes an der jüdischen Bevölkerung."

Das wohl bekannteste Völklinger Opfer des Pogroms vom 9. November 1938 war der Kinderarzt Dr. Rudolf Fromm aus Luisenthal. Der inzwischen verstorbene Heimathistoriker Dr. Luitwin Bies hat Dr. Fromms Schicksal eingehend erforscht: In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurde von der örtlichen NSDAP eine Demonstration vor seinem Haus organisiert. Beschimpfungen wurden gerufen, Steine geworfen, das Haus verwüstet, er selbst und seine Haushälterin in so genannte Schutzhaft genommen. Dr. Fromm wurde ins Konzentrationslager Dachau verschleppt, aus dem er im Januar 1939 wieder entlassen wurde unter der Voraussetzung, dass er 100 Reichsmark für die Rückreise nach Luisenthal bezahlt. Nach der Entrichtung von "Reichsfluchtsteuer", "Judenvermögensabgabe" und Kosten für "Umzugsgut" in einer Gesamthöhe von mehreren tausend Reichsmark wanderte er in die USA aus, wo er 1946 im Alter von 52 Jahren starb.

Während Dr. Fromm letztlich noch entkommen konnte, begann für weitere Völklinger Juden am 9. November 1938 eine Hetzjagd bis hinein in den Tod. Der jüdische Schumacher Hermann Kahn und seine Ehefrau Klara wurden in der Reichspogromnacht verhaftet und nach Dachau gebracht. Als beide Ende Dezember nach Völklingen zurückkehrten, existierte ihr Laden in der Moltkestraße nicht mehr. Die Stadtverwaltung hatte ihn abgerissen. Das Ehepaar wurde genötigt, Völklingen 1939 zu verlassen. Im Dezember 1941 wurden Hermann und Klara Kahn ins Konzentrationslager Riga deportiert, wo sie ermordet wurden.

Auch Wilhelm Bermann, der in der Ludweiler Hauptstraße 60 (heute Völklinger Straße 60) eine Schneiderei führte, und seine Frau Berta wurden am 9. November 1938 überfallen und ausgeraubt, anschließend ebenfalls in so genannte Schutzhaft genommen und in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Nach der Flucht im Januar 1939 lebte das Ehepaar bis 1941 in Amsterdam, bis die Nazi-Schergen dort seiner habhaft wurden. Die beiden wurden in ein Lager verschleppt. 1943 wurden dann die Bermanns vom Lager Westerbork in das Konzentrationslager Sobibor deportiert. Dort wurden sie am 2. Juli 1943 ermordet.

 Dr. Rudolf Fromm

Dr. Rudolf Fromm

 Bildhauer Gunter Demnig bei der Verlegung eines Stolpersteins für Wilhelm Bermann, rechts im Hintergrund Nachfahre Richard Bermann.

Bildhauer Gunter Demnig bei der Verlegung eines Stolpersteins für Wilhelm Bermann, rechts im Hintergrund Nachfahre Richard Bermann.

 Die Nazis ermordeten nicht nur Juden: Die Schüler Luka Klöttschen-Seith, Carmela Principato und Abdul Deniz (von links) beim Reinigen einer beschmierten Gedenktafel für einen als geistesschwach geltenden Jungen in der Saarstraße.

Die Nazis ermordeten nicht nur Juden: Die Schüler Luka Klöttschen-Seith, Carmela Principato und Abdul Deniz (von links) beim Reinigen einer beschmierten Gedenktafel für einen als geistesschwach geltenden Jungen in der Saarstraße.

 Inhaberin Brigitte Agostini beim Reinigen der Stolpersteine vor ihrem Schuhhaus an der Völklinger Straße in Ludweiler.

Inhaberin Brigitte Agostini beim Reinigen der Stolpersteine vor ihrem Schuhhaus an der Völklinger Straße in Ludweiler.

Zum Thema:

Auf einen BlickFür 2014 ist eine weitere Verlegeaktion geplant, "damit das Schicksal unserer jüdischen Mitbürger nicht vergessen wird und zugleich als Mahnung vor den Gefahren rassistischen und antidemokratischen Gedankenguts". Wer die Patenschaft für einen Stein übernehmen oder im Aktionsbündnis mitarbeiten möchte, wende sich bitte an Caroline Conrad, Tel. (0 68 98) 29 64 33. Spendenkonto bei der Stadtsparkasse Völklingen, BLZ: 59 051 090, Kontonummer 89 510 463 (Patric Bies). red

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