"Er hat sich in den Dienst der Nazis gestellt"

Hermann Röchling musste sich 1948/ 49 in Rastatt vor einem französischen Tribunal verantworten für sein Handeln während des Zweiten Weltkriegs. Wie lautete die Anklage?Hans-Walter Herrmann: Basis des Prozesses war die Haager Landkriegskonvention von 1907. Drei Punkte daraus waren für die Rastatter Prozesse besonders wichtig. Erstens ist ein Angriffskrieg verboten

Hermann Röchling musste sich 1948/ 49 in Rastatt vor einem französischen Tribunal verantworten für sein Handeln während des Zweiten Weltkriegs. Wie lautete die Anklage?

Hans-Walter Herrmann: Basis des Prozesses war die Haager Landkriegskonvention von 1907. Drei Punkte daraus waren für die Rastatter Prozesse besonders wichtig. Erstens ist ein Angriffskrieg verboten. Zweitens sind Plünderungen auf fremdem oder besetztem Territorium als völkerrechtswidrig geächtet. Drittens dürfen Kriegsgefangene nicht misshandelt oder getötet werden. Der Kernvorwurf der Ankläger gegen Röchling und seine leitenden Mitarbeiter lautete: Vorbereitung eines Angriffskriegs. Dann: Zugriffe auf fremdes Eigentum im damals von Deutschland annektierten heutigen Département Moselle wie auch im jetzigen Meurthe et Moselle. Hier ging es dem Gericht darum, inwieweit Raub und Plünderung durch Übernahme von Industriewerken in besetzten Gebieten zu individueller Bereicherung geführt haben. Dritter Anklagepunkt war die Ausnutzung fremder Arbeitskräfte und deren unmenschliche Behandlung.

Was war ausschlaggebend für Röchlings Verurteilung 1949?

Herrmann: Der erste Anklagepunkt ist im Laufe der Verhandlung in den Hintergrund getreten. Die Röchlings haben ja den Angriffskrieg nicht selbst vorbereitet, sie haben im Kontext einer Diktatur ihren speziellen Kriegsbeitrag in Lothringen geleistet. In Meurthe et Moselle hat Röchling im Auftrag des NS-Regimes die dortige Schwerindustrie in die deutsche Kriegswirtschaft einbezogen. Im Département Moselle hat er die Carlshütte in Diedenhofen (Thionville), eine Gründung seines Vaters vor dem Ersten Weltkrieg, seinem eigenen Konzern einverleibt. Nachdem der NS-Rüstungsminister Albert Speer bei den Nürnberger Prozessen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, musste Röchling als Erfüllungsgehilfe geringer bestraft werden. Blieb der dritte Punkt: Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Röchling will von der grausamen Behandlung der Zwangsarbeiter in der Völklinger Hütte nichts gewusst haben . . .

Herrmann: Röchlings Verteidiger Otto Kranzbühler argumentierte, Röchling habe geglaubt, durch sein Verhalten Schlimmeres verhindert zu haben. Doch die Behauptung, Röchling habe nichts gewusst von dem "Arbeitserziehungslager" Etzenhofen, ist in keinem Fall zu halten. Im Prozess sagte Röchlings Schwiegersohn Hans-Lothar von Gemmingen, er habe den Etzenhofener Lager-Leiter Erich Rassner "zur Mäßigung angehalten" - beide wussten demnach, dass es dort brutal zuging. Wenn Röchling das hätte verhindern wollen, hätte er viel schärfer eingreifen müssen.

Was geschah in Etzenhofen?

Dort wurden Zwangsarbeiter wegen Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin - zum Beispiel "Bummelei" - bis zur Erschöpfung schikaniert, gequält und misshandelt. So, dass Teile der Bevölkerung daran Anstoß nahmen. Mit der Leitung des Werkschutzes in der Hütte war der Gestapo-Mann Rassner beauftragt. Er war zuständig für Be- oder Misshandlung von Zwangsarbeitern im Lager und in der Hütte und hatte sowohl der Gestapo als auch der Werksdirektion zu berichten.

Heutige Verteidiger Hermann Röchlings führen ins Feld, der Industrielle habe große Verdienste um die Stadt . . .

Herrmann: Solche Verdienste muss man einzeln benennen und analysieren. Förderung der Stadt Völklingen bedeutete auch indirekte Förderung der Völklinger Hütte. Und wenn Röchling zum Beispiel Eigenheime für Arbeiter bauen ließ, dann nicht nur wegen seiner sozialen Ader, sondern auch, weil eine Arbeiterschaft mit kleinem Grundbesitz und dadurch verringerter Mobilität sich leichter lenken ließ. Das war eine schon vom preußischen Bergfiskus im 19. Jahrhundert praktizierte Sozialpolitik, die in erster Linie auf Wirtschaftlichkeit zielte und erst in zweiter Linie auf Menschenfreundlichkeit. Röchling gehörte zu den Unternehmer-Persönlichkeiten, die patriarchalisch regierten - fürsorglich, aber auch hart lenkend.

Eignet sich Hermann Röchling als Namenspate eines Völklinger Stadtteils?

Herrmann: Darüber sollte die Völklinger Bevölkerung entscheiden. Vielleicht wäre es ein Kompromiss, nicht die Einzelperson Hermann Röchling, sondern die für die Stadt wichtige Familie Röchling insgesamt zu würdigen - vier Männer aus drei Generationen, daran kann sich eigentlich niemand stoßen. Hermann Röchling ist eine Figur mit Licht und Schatten. Heute ist man gegenüber dem NS-Regime empfindlicher als in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten - daran, dass Röchling sich in den Dienst der Nazis gestellt hat, gibt es nichts zu deuteln.

Zur Person

Hans-Walter Herrmann, Jahrgang 1930, lebt in Riegelsberg. Der promovierte Historiker (Foto: Julius Schmidt) leitete von 1961 bis zu seiner Pensionierung 1995 das saarländische Landesarchiv. Von 1983 bis 2000 lehrte er als Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes. Sein Schwerpunkt dabei: die Landesgeschichte, der er zahlreiche Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen gewidmet hat. Er hat sich als Archiv-Leiter besonders engagiert für die deutsch-französische Zusammenarbeit und genießt in Fachkreisen Anerkennung als Kenner französischer Archive. 1991 wurde Herrmann mit dem Saarländischen Verdienstorden ausgezeichnet, 1993 mit dem französischen "Croix d'Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres". Noch heute hält er oft Vorträge zu historischen Themen. dd

Hintergrund

Der Rastatter Prozess von 1948/49 war eines von mehreren Gerichtsverfahren nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse gegen die Führung des NS-Regimes. Ziel der alliierten Besatzungsmächte war, in ihren jeweiligen Besatzungszonen Verbrechen und Völkerrechtsverletzungen juristisch aufzuarbeiten und zu ahnden, die sich deutsche Akteure während des Zweiten Weltkriegs hatten zuschulden kommen lassen.

Hermann Röchling wurde - so berichtet der Historiker Hans-Walter Herrmann - am 2. Juli 1948 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Dagegen legte die Anklagevertretung Berufung ein. Im Berufungsverfahren wurde Röchling am 25. Januar 1949 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Nach einer Reihe von vergeblichen Gnadengesuchen und einem Krankenhausaufenthalt wurde er am 18. August 1951 aus der Haft entlassen.

Unter den führenden Politikern im Saarland war Röchling nach Herrmanns Auskunft der erste, der Kontakt zu Hitler aufnahm; Röchling tat das bereits 1933. dd

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