Wenn das Piano zur PC-Tastatur wird

Saarbrücken · Profi-Pianisten sind auf ihren Tasten schneller als Profi-Schreibkräfte auf der Computertastatur. Diese scheinbar banale Erkenntnis haben Saarbrücker Wissenschaftler genutzt, um ein Verfahren zu entwickeln, das ein Piano zum Schreibgerät macht.

 Hobbypianistin Mirella Scholtes (links) sitzt zusammen mit Anna Feit vom Max-Planck-Institut in Saarbrücken an einem elektronischen Piano und spielt Noten, die von einem angeschlossenen Computer in Wörter umgewandelt werden. Foto: Jörg Pütz

Hobbypianistin Mirella Scholtes (links) sitzt zusammen mit Anna Feit vom Max-Planck-Institut in Saarbrücken an einem elektronischen Piano und spielt Noten, die von einem angeschlossenen Computer in Wörter umgewandelt werden. Foto: Jörg Pütz

Foto: Jörg Pütz

Im ersten Moment könnte man meinen, Mirella Scholtes übt atonale Musik. Konzentriert blickt die Studentin im Saarbrücker Max-Planck-Institut für Informatik vor sich auf die Klaviertastatur, formt Intervalle und Läufe, die so unfassbar schräg und unrhythmisch klingen, dass man beim besten Willen kein musikalisches System dahinter entdecken mag. Und tatsächlich: Es gibt keines.

Scholtes ist Probandin einer Forschungsgruppe des Exzellenzclusters "Multimodal Computing and Interaction". Die Informatiker haben ein Verfahren entwickelt, Klaviere in Schreibtastaturen zu verwandeln. Schlägt man eine Taste des zweckentfremdeten Musikinstruments an, erklingt zwar der entsprechende Ton. Tatsächlich geht es aber nicht um das akustische Signal, sondern um einen der Taste zugeordneten Buchstaben, der beim Anschlag im Textfenster eines Bildschirms erscheint. "Wir waren fasziniert von der Fingerfertigkeit professioneller Pianisten, wir wollten wissen, warum sie doppelt so viele Noten pro Sekunde spielen können wie Profi-Schreibkräfte Buchstaben auf einer Tastatur eingeben können", erläutert Anna Feit vom Exzellenzcluster die Motivation des Projekts.

Nun ist Forschung zur Optimierung von Eingabeverfahren bei Computern nichts Neues, immerhin geht die Einführung der heutigen Standardtastaturbelegung (QWERTY im Englischen, QWERTZ im Deutschen) zurück in die 1870er-Jahre. Da kann man schon mal überlegen, ob es mittlerweile nicht intelligentere Alternativen gibt. Das haben sich auch die Saarbrücker Forscher gedacht und ein Rechenverfahren entwickelt, das Buchstaben und Wörter bestimmten Noten und Akkorden zuordnet. "Bei der Zuweisung haben wir zwei Komponenten berücksichtigt: zum einen Statistiken der Musik, zum anderen Prinzipien der Tastaturoptimierung", sagt Feit. Konkret analysierten die Wissenschaftler zunächst hunderte Klavierstücke und spürten immer wiederkehrende musikalische Muster auf. Es ging darum, herauszufinden, welche Noten und Akkorde wie häufig vorkommen und die Buchstaben und Wörter dann so auf die Tasten zu übertragen, dass entsprechende Notenfolgen bei der Texteingabe gespielt werden.

Die Wissenschaftler optimierten die Tastatur für die englische Sprache. Feit und ihre Kollegen achteten darauf, dass häufige Buchstabenpaarungen wie "th" oder Wörter wie "and" oder "because" mit wichtigen Intervallen oder Akkorden belegt wurden. Fast allen Buchstaben wiesen sie außerdem mehrere Noten zu.

"Anschließend haben wir einen Text geschrieben, ihn in Noten übertragen und dem Saarbrücker Klavier-Professor Fedele Antonicelli vorgesetzt, um zu sehen, in welchem Maximal-Tempo das Schreiben überhaupt möglich ist", erzählt Feit. Antonicelli schaffte ohne zu üben über 80 Wörter pro Minute. Zum Vergleich: Eine erfahrene Schreibkraft tippt auf einer Tastatur 60 bis 80 Wörter pro Minute.

Doch funktioniert das Ganze auch bei Durchschnittspianisten? Hier kam nun die Studentin und Hobbypianistin Mirella Scholtes ins Spiel. Fünf bis sieben Stunden pro Woche trainierte sie nach einem von den Forschern entwickelten Übungsprogramm. Mit Erfolg: Nach einem halben Jahr brachte es auch Scholtes auf 80 Wörter pro Minute.

Werden wir also künftig Klaviere an unsere Computer anschließen und die gute alte Buchstaben-Tastatur in den Müll werfen? Feit lacht. Nein, das sei unrealistisch. Aber möglicherweise könne man einige Prinzipien des Klavierspielens auf die Computer-Tastatur übertragen - etwa die Mehrfach-Anordnung von Buchstaben. Die Saarbrücker Informatiker sind noch längst nicht am Ende ihrer Forschungen: Momentan versuchen sie, ihr Verfahren auf kleinere Tastaturen mit 37 Tasten zu übertragen.

Die Software der Saarbrücker Informatiker zur Texteingabe am Klavier kann im Internet kostenlos heruntergeladen werden: pianotext.mpi-inf.mpg.de. Benötigt wird ein E-Piano oder Keyboard mit Midi-Ausgabe.

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