Wo die Energiewende schon geschafft ist

Wildpoldsried. Ein sonniger Sommertag. Zufriedene Kühe grasen auf sattgrünen Wiesen. Dahinter das Dorf Wildpoldsried im bayerischen sanfthügeligen Voralpenland. Eine Postkartenkulisse. Auf den Dächern der Häuser silbrig-blaue Photovoltaikflächen. Fünf Windräder auf der Anhöhe, zwei weitere für 7,1 Millionen Euro Investitionen gehen in diesen Tagen ans Netz

Wildpoldsried. Ein sonniger Sommertag. Zufriedene Kühe grasen auf sattgrünen Wiesen. Dahinter das Dorf Wildpoldsried im bayerischen sanfthügeligen Voralpenland. Eine Postkartenkulisse. Auf den Dächern der Häuser silbrig-blaue Photovoltaikflächen. Fünf Windräder auf der Anhöhe, zwei weitere für 7,1 Millionen Euro Investitionen gehen in diesen Tagen ans Netz. In dieser Idylle wird deutsche Energiegeschichte geschrieben. Ein Dorf hat sich unabhängig von Atom- und Kohlestrom gemacht. Wildpoldsdried hat die Energiewende längst umgesetzt.Der Ort produzierte 2011 gut drei Mal mehr Strom aus Erneuerbaren Energien als er selbst verbraucht - normale Gewerbe- und Haushaltsstruktur, keine industriellen Großverbraucher. Mit den beiden neuen Windanlagen wird jetzt fünfmal so viel elektrische Energie erzeugt, als die rund 2570 Wildpoldsrieder selbst verbrauchen. Strom kommt aus Windkraft, aus Sonnenenergie, aus Biomasse und sogar aus drei kleinen Wasserkraftanlagen. Ein dorfeigenes Nahwärmenetz auf Basis von Holzpellets versorgt viele Gebäude mit Heizenergie. Wo möglich, wird Holz aus der Region verbaut. In Wildpoldsried bei Kempten ist längst in die Praxis umgesetzt, wovon die Berliner Energiewende-Politiker noch träumen.

Arno Zengerle, Erster Bürgermeister seit 1996, ein ruhiger, gestandener CSU-Politiker, ist mittlerweile ein überaus gefragter Mann. Ständig kommen Delegationen aus Deutschland, dem Rest Europas und jüngst waren Gäste aus Sumatra und Äthiopien da. Japaner und Chinesen haben auch schon in Wildpoldsried vorbeigeschaut. "2011 haben wir hier über 100 Besuchergruppen gezählt", sagt Zengerle. Für 2012 werden etwa 3000 Besucher erwartet. Mit dem Öko-Energie-Tourismus verdient Zengerle auch Geld. Die Gruppen können im gemeindeeigenen, baubiologisch vorbildlichen Ökozentrum "Kultiviert 4" übernachten. Alle wollen dieses Musterdorf für den Energiewandel im Voralpenland sehen. Sein Ruf hat sich rund um den Globus herumgesprochen.

Den Startschuss gab 1999 eine Bürgerbefragung, nach der per Basisdemokratie eine Vision 2020 für den Ort entwickelt wurde. Ermittelt wurde unter anderem auch die Akzeptanz von Windkraftanlagen. "Damals stimmten 92 Prozent zu", berichtet Zengerle. Der Gemeinderat zeigte sich auch einstimmig: Dort sitzen CSU, SPD und Freie Wähler - erstaunlicherweise kein einziger Grüner. Die Liste der Ratsmitglieder enthält noch nicht mal die Parteizugehörigkeit. Hier entscheidet die Sache, nicht die Partei.

Ideologische Alternativ-Ökopaxe freilich sind die Wildpoldsrieder nicht. Sie können einfach gut rechnen und stecken eigens Geld in die Finanzierung. Allein an den bisherigen fünf Windkraftanlagen sind 180 Bürger mit über vier Millionen Euro beteiligt. "Die Bürger der Gemeinde haben bis heute insgesamt rund 30 Millionen Euro in regenerative Energien investiert," sagt Zengerle. "Die Bürger finanzieren ihre Energiewende selbst."

Die aktuell installierte Leistung kann sich sehen lassen: Fünf Windkraftanlagen mit 7,5 Megawatt Leistung, die beiden neuen steuern weitere 4,6 Megawatt bei. Das sind dann 12,1 Megawatt Leistung. Zum Vergleich: Der kleine Block des Kraftwerks Ensdorf hat 120 Megawatt Leistung. Im Saarland sind aktuell 170 Megawatt Leistung aus Windkraft installiert. Wildpolsried hat noch fünf Biogasanlagen, über 1900 Quadratmeter Thermische Solar- und Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 4000 Kilowatt Peak.

Der überschüssige Strom muss natürlich auch verkauft werden. Die hohe Produktion bedeutet schwankende Netzbelastung, wenn viel Sonne scheint und der Wind kräftig bläst. Das bringt das kommunale Stromnetz oft ins Schleudern. Also muss ein System zur intelligenten Steuerung her. Und ein starker Partner für den Absatz. Den fanden die Wildpoldsrieder im Regionalversorger Allgäuer Überlandwerk (AÜW) in Kempten. Zur Sicherstellung einer zuverlässigen Stromversorgung wurde 2011 in Wildpoldsried das Projekt "Irene" (Laufzeit: zwei Jahre) ins Leben gerufen. Irene steht für "Integration regenerativer Energie und Elektromobilität". Hier testen der Münchener Technologiekonzern Siemens und das Allgäuer Überlandwerk zusammen mit der Technischen Hochschule Aachen und der Hochschule Kempten das Stromnetz der Zukunft: ein sogenanntes Smart Grid. Das sind sich per Informationstechnologie selbst überwachende, intelligente Netze.

Im Kern geht es darum, wie man die Stromnetze in Deutschland in zehn oder zwanzig Jahren angesichts der differenzierten Einspeiserstruktur noch stabil halten kann. "Wir haben künftig neben Millionen Verbrauchern auch Millionen Stromerzeuger. Das muss in Einklang gebracht und gesteuert werden. Die deutsche Energiewende ist ein Jahrhundertprojekt", sagt Rudolf Martin Siegers, Leiter von Siemens Deutschland. "Wir brauchen aber auch künftig konventionelle Kraftwerke weiter, die man schnell hoch- und runterfahren kann", so Siegers. Noch fehle in Deutschland ein klarer Projektplan der Politik: "Wenn wir das meistern, wird die Energiewende ein Exportschlager. Die ganze Welt schaut derzeit nach Deutschland. Smart Grids sind eine Riesenchance für die deutsche Wirtschaft."

Herzstück von "Irene" ist ein regelbarer Hightech-Ortsnetztrafo. Er ist per Mobilfunk mit Sensoren im Dorf verbunden und berechnet je nach Wetterlage Produktion und Nachfrage und gleicht die Spannungsschwankungen aus, erläutert Projektleiter Alexander Hammer. Hier kommt nun das Thema Netzausbau und Energie-Effizienz ins Spiel. Kämen Smart Grids in großem Maßstab bundesweit zum Einsatz, könnten diese Netze den Strombedarf drastisch vermindern. Das würde auch geringeren Netzausbau und Kostenersparnis bedeuten. Das ermittelte auch jüngst der Verband der Elektrotechnik (VDE). Die sogenannte Lastverschiebung - also die Schwankungen der Stromversorgung - bietet bei optimaler Verbrauchssteuerung ein hohes Einsparpotenzial.

Die Wildpoldsrieder erwirtschafteten 2011 mit Erneuerbaren Energien einen Ertrag von rund vier Millionen Euro, so Bürgermeister Zengerle. Die adrette Voralpen-Gemeinde hat bereits Energiegeschichte geschrieben und dafür eine Menge Auszeichnungen eingeheimst. Zengerle ("Viele hielten uns für Spinner, als wir hier anfingen") nahm im Januar 2012 in Rom den internationalen Umweltpreis "Un Bosco per Kyoto" ("Ein Wald für Kyoto") für sein Dorf entgegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama haben ihn auch schon. Zengerle ist also in guter Gesellschaft. Selbst die Kleinen werden eingebunden: In der Kita werden die Jüngsten schon über Erneuerbare Energien aufgeklärt und in der Grundschule gibt es einen "Energieführerschein".Foto: Gemeinde

"Die Bürger finanzieren ihre Energiewende selbst."

Arno Zengerle, Bürgermeister von Wildpoldsried

Auf einen blick

Auch im Saarland gibt es erste Ansätze, mit der Nutzung Erneuerbarer Energien eine Wertschöpfung in der Region zu realisieren: In Losheim gründete sich im Januar 2012 die Bürger-Energie-Genossenschaft Hochwald, die Photovoltaik- und Windkraft-Projekte in der Region umsetzen will. Die Idee kommt an: Die bis Ende 2012 angestrebte Mitgliederzahl von 150 Genossen ist schon jetzt deutlich überschritten. Am Sonntag besucht Umweltminister Peter Altmaier die Genossenschaft und lässt sich ein von ihr anvisiertes Windkraftprojekt auf dem Wahlener Galgenberg vorstellen. cbe

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