„Wir alle machen Fehler“

Nach Ansicht des Psychiaters und Theologen Manfred Lütz ist Uli Hoeneß selbst schuld, dass die Menschen wütend auf ihn sind. Dennoch habe auch Uli Hoeneß eine zweite Chance verdient. Mit Manfred Lütz sprach SZ-Redakteur Pascal Becher.

Herr Lütz, Uli Hoeneß muss ins Gefängnis. Dreieinhalb Jahre. Ist das wirklich die gerechte Strafe für einen Steuerhinterzieher?

Lütz: Das kann ich nicht beurteilen, denn ich bin kein Jurist. Aber ich kann es spontan nicht ungerecht finden, dass jemand, der zwar viele Verdienste hat, aber so erheblich Steuern hinterzogen hat und jetzt zum Schluss so viele Informationen nachgeschoben hat, eine deutliche Strafe erhält. Wenn er freigesprochen worden wäre, hätten die Menschen den Eindruck gehabt: Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen.

Also hatte das Gericht keine andere Wahl?

Lütz: Solche Urteile werden ja auch immer im Namen des Volkes gesprochen. Wenn man sich da auf irgendwelche nicht nachvollziehbaren Finessen eingelassen hätte, wäre das Rechtsgefühl der Menschen verletzt worden.

Aber die Reaktionen auf Hoeneß gingen viel weiter als nur Wut gegen einen Steuerhinterzieher.

Lütz: Da haben Sie recht, und das finde ich bedenklich. Es gibt inzwischen fast eine Neigung zur Lynchjustiz, es gibt öffentliche Vernichtungsimpulse. Alle paar Wochen trifft es einen anderen Promi: Alice Schwarzer, Franz-Peter Tebartz-van Elst oder Christian Wulff. Natürlich darf und muss man auch öffentlich kritisieren dürfen, was Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, tun. Aber das Ausmaß an Aggressivität ist manchmal menschenverachtend.

Woher kommt das?

Lütz: Das ist leider etwas Urmenschliches. Schon bei den Gladiatorenkämpfen wollten die Menschen Blut sehen. Blut wollen die Leute heute nicht mehr sehen. Dafür vernichten sie Prominente geistig. Der SPD-Politiker Edathy ist auch so ein Fall. Noch ist ihm nichts strafrechtlich Relevantes nachgewiesen worden. Aber der Mann kann sich im Grunde in Deutschland nicht mehr sehen lassen. So etwas widerspricht meinem Rechtsempfinden.

Ist das Verhalten der Leute nicht auch ein Stück weit Sozialneid?

Lütz: Das glaube ich nicht, die Menschen wollen ja nicht alle Bischof oder Präsident von Bayern München werden. Aber sie idealisieren Promis wie Götter und wenn es sich dann erstaunlicherweise herausstellt, dass sie Menschen wie du und ich sind, und eben keine Heiligen, dann schlägt man enttäuscht auf sie ein.

Aber Hoeneß hat sich nun mal selbst als Moralapostel aufgebaut.

Lütz: Ja, das war völlig daneben. Gerade weil er ja wusste, dass er tatsächlich Steuern hinterzieht. Aber vielleicht stilisiert er sich ja gerade deshalb zur moralischen Instanz, um auch vor sich selbst seine dunkle Seite zu verdrängen.

Hat Hoeneß nicht einfach wegen einer Spielsucht die Kontrolle über sein Leben verloren?

Lütz: Ferndiagnosen sind unseriös. Aber was ich den Medien entnehmen kann, deutet nicht daraufhin, dass Uli Hoeneß psychisch krank ist, also zum Beispiel spielsüchtig. Mein Eindruck ist, dass die Börsenzockerei für ihn eher ein Freizeitvergnügen war, das er sich mit schlechtem Gewissen genehmigt hat.

Und damit ist er in der Gesellschaft geliefert.

Lütz: Ja, er hat in gewisser Weise sein Gesicht verloren als "moralische Instanz". Aber es ist wichtig, dass er wieder eine Chance bekommt. In einem Rechtsstaat ist mit der Strafe das Unrecht erstmal abgegolten. Damit muss es dann auch gut sein. Wir alle machen mal Fehler, kleine und auch große, und Barmherzigkeit ist eine christliche Tugend, auch wenn es um einen Uli Hoeneß geht.

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