Wie der Staat Medizinern unter die Arme greift

Berlin. Die so genannten individuellen Gesundheitsleistungen (Igel) sind schon lange umstritten. Jetzt stellt sich heraus, dass die Bundesregierung sogar entsprechende Verkaufs-Seminare für Ärzte bezuschusst. Kassen und Opposition sind empört. Nun wird die Praxis "überprüft". Den Stein ins Rollen gebracht hatte die Grünen-Gesundheitsexpertin, Biggi Bender

Berlin. Die so genannten individuellen Gesundheitsleistungen (Igel) sind schon lange umstritten. Jetzt stellt sich heraus, dass die Bundesregierung sogar entsprechende Verkaufs-Seminare für Ärzte bezuschusst. Kassen und Opposition sind empört. Nun wird die Praxis "überprüft". Den Stein ins Rollen gebracht hatte die Grünen-Gesundheitsexpertin, Biggi Bender. Auf ihre Nachfrage hin räumte das Wirtschaftsministerium ein, Verkaufs-Seminare für Ärzte mit Steuergeld zu unterstützen. Grundlage sei die Richtlinie zur "Förderung unternehmerischen Know-hows für kleinere und mittlere Unternehmen sowie Freie Berufe" und damit auch Ärzte.In den Marketing-Schulungen werden den Ärzten laut Veranstaltern "einfache und unaufdringliche Formulierungen" vermittelt, um Patienten zu Untersuchungen zu animieren, die in aller Regel medizinisch umstritten, zum Teil sogar eher schädlich sind und deshalb nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Im Gegensatz zu den normalen Kassenleistungen sind bei Igel-Angeboten auch keine Qualitätsnachweise nötig.

Trotzdem floriert das Geschäft. Die Krankenkassen schätzen, dass Ärzte mit Igel-Angeboten einen jährlichen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro erzielen. Besonders für Früherkennungsuntersuchungen greifen Patienten gern ins eigene Portemonnaie. Darunter fallen häufig das Glaukom-Screening (Glaukom: Grüner Star) sowie der vaginale Ultraschall auf Eierstock- oder Gebärmutterkrebs. Beide Checks werden vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen in ihrer Wirkung als "tendenziell negativ" beziehungsweise "negativ" eingestuft. Entsprechende Erklärungen finden sich auf der Internet-Seite www.igel-monitor.de, die mittlerweile über 26 der häufigsten Igel-Leistungen Auskunft gibt.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung forderte die Bundesregierung auf, die Zuschusspraxis umgehend zu stoppen. "Wenn Ärzte Verkaufsstrategien trainieren, wie man Patienten unnötige medizinische Leistungen unterjubelt, belastet das das Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenem und Helfer erheblich", sagte der stellvertretende Vorstandschef des GKV-Spitzenverbandes Johann-Magnus von Stackelberg unserer Zeitung. Solche Seminare würden zu einer "Pervertierung der medizinischen Behandlungspraxis" führen. "Wenn sie dann auch noch mit Steuergeldern gefördert werden, ist das sehr fragwürdig", meinte von Stackelberg. Kritik kam auch von der SPD. Fraktionsvize Elke Ferner erinnerte im SZ-Gespräch an die Vorgaben der Bundesärztekammer, wonach Igel-Leistungen als "Leistungen auf Verlangen des Zahlungspflichtigen" gelten. Das heißt, erst wenn der Patient nachfragt, darf der Arzt ein entsprechendes Angebot unterbreiten. "Insofern verbietet sich ein Marketing für Igel-Leistungen, geschweige denn, es auch noch zu fördern", meinte Ferner. Der gesundheitspolitische Sprecher der Partei, Karl Lauterbach, gab zu bedenken: "Igel-Leistungen ziehen wertvolle Arbeitszeit von den niedergelassenen Ärzten ab und lenken sie in fragwürdige Geschäftemacherei um." Ähnliche Bedenken gibt es offenbar auch im Bundesgesundheitsministerium. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsressort überprüfe man die derzeitige Förderpraxis. Foto: dpa

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