Schon wieder ein neuer König bei den Liberalen

Berlin · Christian Lindner ist der neue starke Mann in einer schwachen Partei. Er macht seinen Leuten bei der FDP Mut. Doch vor dem liberalen Neustart gab es noch eine Menge Vergangenheitsbewältigung zu erledigen.

 „Die liberale Kraft wird gebraucht in Deutschland“, schwor Christian Lindner, der neue starke Mann der FDP, die Delegierten in Berlin auf einen Neuanfang ein.

„Die liberale Kraft wird gebraucht in Deutschland“, schwor Christian Lindner, der neue starke Mann der FDP, die Delegierten in Berlin auf einen Neuanfang ein.

 PhilippRösler

PhilippRösler

 Neue Gesichter an der Spitze der FDP, von links: Vize-Parteichefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Präsidiumsmitglieder Michael Theurer und Katja Suding, Generalsekretärin Nicola Beer sowie der Bundesvorsitzende Christian Lindner. Fotos: nietfeld/dpa

Neue Gesichter an der Spitze der FDP, von links: Vize-Parteichefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Präsidiumsmitglieder Michael Theurer und Katja Suding, Generalsekretärin Nicola Beer sowie der Bundesvorsitzende Christian Lindner. Fotos: nietfeld/dpa

Den "liberalen Neustart" propagiert die FDP auf ihrer Internetseite. Doch was der Parteitag am Wochenende in Berlin macht, ist Vergangenheitsbewältigung. Bis ein neuer Hoffnungsträger mit 79 Prozent zum Vorsitzenden gewählt ist: Christian Lindner, 34 Jahre alt. Der König ist tot, es lebe der König.

Sein Vorgänger, Philipp Rösler, umarmt etliche Delegierte überschwänglich, als er den Saal betritt. Nicht jeder blickt dabei glücklich. Ein Team der "Heute-Show" folgt dem scheidenden FDP-Chef auf Schritt und Tritt. Die Satire aber liefert Rösler in seiner Rede selbst. In einer wirren Sequenz sagt er, man stelle sich vor, er gehe ohne Jacke auf die Berliner Friedrichstraße. In der Zeitung stehe dann: "Rösler nackt auf der Friedrichstraße". Und keiner der Parteifreunde trete dem entgegen. Im Gegenteil, manche freuten sich noch. Böse Medien und mangelnde innerparteiliche Solidarität, das sind für ihn die Ursachen für das Desaster vom 22. September. Im Saal schweigen sie betreten.

Rösler übt auch Selbstkritik. Sein Versprechen vom Mai 2011, in der schwarz-gelben Koalition FDP-Erfolge zu "liefern", sei falsch gewesen. Es sei ihm nicht gelungen, die Situation, die er vorgefunden habe, zu ändern. Die eigentlichen Fehler seien vorher gemacht worden. Das ist nicht Selbstkritik, das ist Kritik an seinem Vorgänger Guido Westerwelle, der mit eisiger Miene zuhört. "Es war mir eine Ehre, Ihr Vorsitzender zu sein", verabschiedet sich der Noch-Vizekanzler. Der Beifall ist dünn.

Kaum anders redet der gewesene "Spitzenkandidat" Rainer Brüderle. Er gibt zwar zu, dass die Zweitstimmenkampagne sein Fehler war. Aber als Hauptursache macht er die "Vernichtungssehnsucht gegen uns" aus, die Presse. Brüderles wahrscheinlich allerletzte Rede vor einem großen Auditorium endet mit dem Satz: "Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen, wir lassen uns unsere Ehre nicht nehmen." Es ist eine peinliche Anleihe an die historischen Worte, mit denen sich der Sozialdemokrat Otto Wels 1933 im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz wehrte.

Erst die Delegierten stoppen diesen Stil. Der neue Chef der Jungen Liberalen, Alexander Hahn, listet unter großem Beifall die Fehler auf: Westerwelles Wort von der "spätrömischen Dekadenz", die Selbstbedienung mit Posten, die Hoteliersteuer. Etliche Redner fordern eine Entkoppelung von der CDU. Andere rufen nach mehr innerparteilicher Demokratie. Die Klientelpolitik müsse aufhören, sagt ein Delegierter. Die Aussprache dauert fast drei Stunden. Nichts bleibt unerwähnt. Auch nicht der "Rassismus" gegen den "Vietnamesen", wie einige Parteimitglieder ihren Vorsitzenden Rösler laut Generalsekretär Patrick Döring genannt haben.

Mit der Wahl Christian Lindners endet die Selbstbespiegelung abrupt. Die 662 Delegierten sind erneut nur allzu gern bereit, einem vermeintlichen Messias zuzujubeln, so wie zuletzt Rösler, so wie davor fast ein Jahrzehnt lang Guido Westerwelle. Nach seiner Grundsatzrede am Sonntag springen sie auf, klatschen minutenlang. "Ich will der FDP den Respekt wiedergeben, den sie verdient", ruft Lindner aus. "Die Zeit der Trauerarbeit ist zu Ende." Besonders starken Beifall bekommt er mit seiner Absage an einen europakritischen Kurs. "Wir wären verrückt der nationalökonomischen Bauernfängertruppe von der AfD nachzujagen." Diese Grundentscheidung teilt der Parteitag, wie sich bei den Vorstandswahlen zeigt. Da setzt sich Lindners Kandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann klar gegen den Eurorebellen Frank Schäffler als Parteivize durch. Die anderen beiden neuen Stellvertreter, Wolfgang Kubicki und Uwe Barth, haben keine Gegenkandidaten. Zusammen mit dem wieder aktivierten Schatzmeister Hermann Otto Solms (73) und der neuen Generalsekretärin Nicola Beer bilden sie nun die Führung. "Die liberale Kraft wird gebraucht in Deutschland", mit dieser Beschwörung endet Lindners Rede in Berlin.

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