Sag beim Abschied leise Servus

Berlin · Viele vertraute Gesichter werden nach der Wahl nicht mehr im Bundestag zu sehen sein. Franz Müntefering, Michael Glos, Wolfgang Thierse und viele andere Abgeordnete hören auf. Was raten sie ihren Nachfolgern?

Sag beim Abschied leise Servus - die letzte reguläre Plenarwoche vor der Bundestagswahl haben zahlreiche Abgeordnete genutzt, um sich mit viel Herzblut vom Rednerpult aus für immer aus dem Bundestag zu verabschieden. Einige gehen einfach nur in Rente, andere wurden daheim in ihren Wahlkreisen nicht mehr aufgestellt. Viele vertraute Gesichter werden deshalb im neuen Bundestag fehlen, von Franz Müntefering (SPD) über Michael Glos (CSU) bis Wolfgang Thierse (SPD). Was raten die künftigen Polit-Rentner eigentlich ihren Nachfolgern?

Ein Generationswechsel steht an. Allein 33 der 146 SPD-Abgeordneten kehren definitiv nach der Wahl nicht wieder zurück in den Reichstag. Darunter auch "Münte", wie Franz Müntefering (73) in Berlin genannt wird. Er gehe "ohne Wehmut, ohne Wermut, mit Mut. Mal sehen, ob das so bleibt. Im Schaukelstuhl vergammeln werde ich wohl nicht", sagt der Sauerländer der SZ. Frühzeitig hat der ehemalige SPD-Chef und Vizekanzler der großen Koalition seine parlamentarische Nachfolge geregelt. Für ihn wirft sich nun sein Mitarbeiter Dirk Wiese in die Schlacht ums Sauerland. Er habe keine "bessere politische Schule als bei Franz durchlaufen können", sagt der 29-Jährige selbstbewusst. Münteferings Hang zu prägnanten Sätzen ("Opposition ist Mist") hat Wiese bereits übernommen: "Das Sauerland ist viel zu schön, um für immer schwarz zu sein", lautet sein Wahlslogan, um in dem konservativen Landstrich zu bestehen.

Münteferings Tipp an junge Nachwuchspolitiker ist: "Aus den Fehlern der Alten lernen und sie nicht wiederholen. Die Erfolge der Alten ungeniert kopieren." Michael Glos, früherer CSU-Landesgruppenchef, dann eher ungern Wirtschaftsminister, rät hingegen, "sich eine Nische im parlamentarischen Betrieb zu suchen und erst einmal Fachmann auf einem bestimmten Gebiet zu werden". So erwerbe man sich Respekt und Achtung bei den Kollegen. Außerdem sollten junge Abgeordnete "nicht über jedes Stöckchen springen, das ihnen die Presse oder der politische Gegner hinhält". Der 68-Jährige verabschiedete sich in der letzten Woche mit einem großen Fest in der bayerischen Landesvertretung, Erzrivale Horst Seehofer war offenbar nicht eingeladen. Glos saß immerhin zehn Legislaturperioden im Bundestag. Er werde "das Lebensgefühl im politischen Berlin mit Sicherheit vermissen", räumt er ein. Für seine Rolle als Zuschauer auf der Tribüne müsse er freilich noch "umschulen". Deswegen behält Glos auch ein Büro in der Hauptstadt.

Insgesamt verlassen 39 der 237 Unions-Parlamentarier das hohe Haus für immer, beim Koalitionspartner FDP sind es 35 der 93 Abgeordneten. Darunter liberale Urgesteine wie Hermann Otto Solms (72), der seit 1980 im Bundestag war und gerne irgendwann einmal Finanzminister geworden wäre. Oder der ehemalige Parteichef Wolfgang Gerhard (69), seit 1994 Abgeordneter. Drei Staatssekretäre - Ernst Burgbacher, Hans-Joachim Otto (beide Wirtschaft) und Gudrun Kopp (Entwicklung) - streichen ebenso die liberalen Segel. Das ist für eine kleine Partei wie die FDP ein ganz schöner Aderlass an Hochkarätern. Bei den Grünen sind es nur fünf von 68 Volksvertretern, die nicht mehr antreten.

Luc Jochimsen (77) verlässt nach zwei Legislaturperioden das Parlament, so wie elf weitere der 75 Linkspartei-Abgeordneten. Jochimsen ist vielen noch in Erinnerung, weil sie 2010 als Präsidentschaftskandidatin ihrer Partei gegen Christian Wulff und Joachim Gauck antrat. An die Zustimmung damals denkt sie gerne zurück. Die Publizistin rät aufstrebenden Polit-Talenten, ein Nein niemals für ein Nein zu nehmen. "Immer wieder aufs Neue insistieren und versuchen, zu überzeugen", betont sie. "Fleißig und nicht schüchtern sollten junge Parlamentarier sein", empfiehlt demgegenüber Wolfgang Thierse (69), der von 1998 bis 2005 Präsident des Bundestages war. Aus seiner Traurigkeit macht der SPD-Mann keinen Hehl. Für ihn ist nach 23 Jahren Schluss. Die jüngere Konkurrenz im Wahlkreis hätte ihm wohl eine erneute Kandidatur schwer gemacht. "Ich gehe mit Wehmut", gibt Thierse freimütig zu. Wie viele andere auch.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort