Rechte Abgründe - der NSU-Schock und die Folgen

Die junge Zwickauerin ist aufgeregt, als sie den Notruf 112 wählt. Sie kann der Feuerwehr zunächst nicht den exakten Brandort nennen. Nur der Straßenname fällt ihr ein. Später ereilt ein weiterer Ruf die Zentrale, diesmal ist von einer Explosion die Rede. Die Feuerwehr ist am Ziel: Es ist die Frühlingsstraße 26

Die junge Zwickauerin ist aufgeregt, als sie den Notruf 112 wählt. Sie kann der Feuerwehr zunächst nicht den exakten Brandort nennen. Nur der Straßenname fällt ihr ein. Später ereilt ein weiterer Ruf die Zentrale, diesmal ist von einer Explosion die Rede. Die Feuerwehr ist am Ziel: Es ist die Frühlingsstraße 26. Während draußen Schaulustige aus sicherer Entfernung zuschauen, greifen Feuerwehrmänner von außen und innen gleichzeitig die Flammen an. In diesen Minuten wissen sie nicht: Sie befinden sich im zerstörten Versteck einer Neonazi-Gruppe, die unter dem Kürzel NSU schon bald in aller Munde sein wird.Ein Jahr ist seit der Entdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds vergangen - und der Schock sitzt bis heute tief. Am 4. November 2011 wurden in einem ausgebrannten Wohnmobil im thüringischen Eisenach Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot aufgefunden. Ihre Komplizin Beate Zschäpe, die am gleichen Tag den Brand in Zwickau gelegt hatte, stellte sich wenig später der Polizei. Es folgte die Aufdeckung einer beispiellosen Serie an Verbrechen, Morden und Abscheulichkeiten - und die düstere Erkenntnis, dass die Sicherheitsbehörden in dem Fall kolossal versagten. Das rechtsextreme Trio hatte jahrelang unerkannt geraubt und getötet. Mindestens zehn Opfer sollen auf das Konto der Rechtsextremisten gehen. Inzwischen herrscht Einigkeit, dass sich in Deutschland viel ändern muss, um ein solches Desaster in Zukunft zu verhindern. Doch die politische Aufarbeitung steht noch am Anfang.

Nach dem Auffliegen der Terrorzelle begann die parlamentarische Aufklärung. Mehrere Untersuchungsausschüsse wurden eingesetzt: im Bundestag und in den Landtagen von Thüringen, Sachsen und Bayern. Aus Thüringen stammen die drei, in Sachsen tauchten sie jahrelang unter, in Bayern begingen sie die meisten Morde. Die parlamentarischen Aufklärer brachten in den vergangenen Monaten immer neue Pannen ans Licht. Die Erkenntnisse: Die Sicherheitsbehörden sprachen zu wenig miteinander, Akten gingen im Behörden-Wirrwarr unter, Informationen machten an Landes- oder Behördengrenzen Halt. Immer mal wieder kamen Ermittler dem Trio bei ihren Nachforschungen nahe. Doch sie stellten die falschen Fragen, erkannten Zusammenhänge nicht - und bis zuletzt auch nicht den rechtsextremen Hintergrund der Mordserie.

Die Einsicht für eigene Fehler ist bei den Sicherheitsbehörden trotzdem bislang wenig ausgeprägt. Polizisten und Verfassungsschützer räumten zwar ein, einige Strukturen müssten sich ändern und der Austausch von Informationen müsse besser werden. Von einem Scheitern der Behörden wollten die meisten aber nicht reden.

Auftritte wie die des früheren Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, waren in den vergangenen Monaten eine Seltenheit. Fromm gab sich im Juli im NSU-Ausschuss des Bundestages reumütig, übte sich in Selbstkritik und sagte, die Gefahr rechtsterroristischer Strukturen sei borniert ausgeblendet worden. Fromm räumte seinen Posten, weil in seinem Haus noch nach dem Auffliegen der Terrorzelle sensible Unterlagen zur rechten Szene im Reißwolf landeten. Auch andere oberste Verfassungsschützer - aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt - mussten wegen Fehlern in ihren Behörden abtreten.

Die Sicherheitsbehörden - allen voran der Verfassungsschutz - haben durch ihr Vorgehen extrem an Vertrauen verloren. Es herrscht Konsens, dass die Sicherheitsarchitektur in Deutschland schwer reformbedürftig ist. Nur was genau passieren soll, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Einige Dinge brachte die Bundesregierung nach dem Auffliegen der Terrorzelle schnell auf den Weg: Das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus in Köln und Meckenheim zum Beispiel, in dem sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen. Oder die Neonazi-Datei, in die Ermittler aus Bund und Ländern Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten bündeln.

Andere Dinge brauchen mehr Zeit. Die Debatte über die Reform des Verfassungsschutzes etwa steckt noch in den Anfängen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wagte sich vor einigen Monaten mit der Idee vor, die Fälle von gewaltbereiten Extremisten beim Bundesamt für Verfassungsschutz zu konzentrieren. Aus den Ländern kam prompt Widerstand. Sie wollen sich beim Verfassungsschutz keine Kompetenzen wegnehmen lassen. Die Gespräche laufen.

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