Orban holt Ungarn im Alleingang

Brüssel · Viktor Orban hat die Wahlen in Ungarn mit 44,5 Prozent klar gewonnen. Ein Schock für Brüssel – auch weil die rechtsnationalistische Jobbik-Partei 21 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Somit haben 65 Prozent der Ungarn rechts gewählt.

Am Tag nach der Ungarn-Wahl werden die Mienen in Brüssel ernst. Außer einem belanglosen "Wir beobachten das Land natürlich weiter", ist aus der Kommission am Montagmorgen wenig zu hören. Der Wahlsieg gehört dem rechts-konservativen Viktor Orban und seiner Fidesz-Partei, die zwar acht Prozent und damit die Zweidrittel-Mehrheit verloren, aber mit 44,5 Prozent die unangefochten stärkste politische Kraft des Landes bleiben. Ob die Ungarn die bisherige Alleinherrschaft mochten, bleibt dahingestellt. Dass sie aber sehr wohl den starken Mann an der Spitze behalten wollten, der sich weder von der EU noch von anderen Supermächten etwas sagen lässt, steht fest.

Immer wieder hatte ihn Brüssel seit seiner Wiederwahl 2010 ins Visier genommen: Da gab es Krach wegen der Mediengesetze, die den Zugriff einer staatlichen Aufsicht auf Rundfunk, Fernsehen und Presse legitimierten, obwohl es nur selten dazu kam. Die EU forderte Nachbesserungen und bekam sie - ebenso bei der zwangsweisen Verrentung einer ganzen Richter-Generation oder der teilweisen Entmachtung der Notenbank. Orban scheute den Konflikt nicht. Er fuhr nach Straßburg ins Parlament, suchte Kommissionspräsident José Manuel Barroso in dessen Brüsseler Büro auf, gab anschließend den reuig-einsichtigen Sünder, der Fehler einsah, Besserung gelobte und zu Hause gerade so viele Marginalien änderte, dass er keine weiteren Scherereien fürchten musste.

Orbans Stärke ist nicht nur die Schwäche seiner Gegner. Mit gerade mal 20 Prozent erzielte die sozialistische Opposition höchstens einen Achtungserfolg. Wirklich "erschütternd", so die Grünen-Fraktionschefin im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, sei allerdings der Erfolg der rechtsnationalistischen Jobbik-Partei, die 21 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. "Ich kann kaum glauben, dass somit 65 Prozent der Ungarn rechtslastig gewählt haben", sagte gestern ein hohes Mitglied des Europäischen Parlamentes. Das ist ganz und gar nicht erstaunlich, weil Orban das Nationalgefühl jenes Landes streichelte, das vor 100 Jahren im Ersten Weltkrieg seinen Nationalstolz und zahlreiche Gebiet an die Nachbarn verloren hatte.

Dabei steht dem alten und neuen Regierungschef eine Herausforderung erst noch bevor, die ihn seine politische Glaubwürdigkeit kosten könnte. Denn in der Folge der Ukraine-Krise braucht Budapest plötzlich die europäischen Partner, die man bisher so gerne mit Missachtung strafte. Das Land ist zu rund 60 Prozent davon abhängig, dass Moskau des Gas- und Öl-Hahn offenlässt. Mehr noch: In den vergangenen Jahren war es Orban selbst, der EU-Vorstöße zur Verringerung der Abhängigkeit torpedierte. Das wird er nun nicht länger können. Ungarn braucht seine Partner, auf die man bisher so gerne schimpfte, um an das europäische Verteilernetz angeschlossen zu werden, das man in naher Zukunft aufbauen wird.

Mit Sorge registriert man in Brüssel, dass in der ungarischen Nachbarschaft kleine und große "Orbans" in Mode kommen, weil Nationalismus so etwas wie der Fluchtreflex der ökonomisch rückständigen Regionen ist. In der Slowakei gibt es Tendenzen zu ähnlichen Mehrheitsverhältnissen, wenn auch von links, in Rumänien steht der Nationalismus ebenfalls hoch im Kurs. In Tschechien sieht die Lage nicht anders aus. Dass man innerhalb der EU-Führung von einer "demokratischen Krise" spricht, ist nicht neu. Aber der vergangene Sonntag hat den Befürchtungen zusätzliche Nahrung gegeben.

Zum Thema:

Auf einen BlickRechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler hält einen Rechtsruck bei der bevorstehenden Europawahl für denkbar. Die AfD könnte die bislang bestehende "rechtspopulistische Lücke" in Deutschland füllen und gemeinsam mit der NPD ins Europaparlament einziehen. Auch in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien und den skandinavischen Staaten könnte es mit entsprechenden Wahlerfolgen verstärkt zu einer "Re-Nationalisierung" und zu einer Rückbesinnung auf das "Europa der Vaterländer" kommen. epd

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