"Meine Bewerbung steht für eine friedlichere Gesellschaft"

Frau Jochimsen, wie fühlt man sich bei dem Gedanken, ohne jede Aussicht auf Erfolg für das höchste Staatsamt zu kandieren?Jochimsen: Besser, als Sie glauben. Mir ist schon rechnerisch klar, dass meine Kandidatur nicht auf Sieg setzen kann. Ich möchte aber eine Stimme für linke Themen sein. Und da kann ich mich gut einbringen

Frau Jochimsen, wie fühlt man sich bei dem Gedanken, ohne jede Aussicht auf Erfolg für das höchste Staatsamt zu kandieren?

Jochimsen: Besser, als Sie glauben. Mir ist schon rechnerisch klar, dass meine Kandidatur nicht auf Sieg setzen kann. Ich möchte aber eine Stimme für linke Themen sein. Und da kann ich mich gut einbringen.

Also ist Ihre Bewerbung nur eine symbolische Geste?

Jochimsen: Nein. Meine Bewerbung steht für eine friedlichere Gesellschaft in unserem Land. Ich möchte, dass unsere Soldaten aus Afghanistan abziehen und dass wir unseren riesigen Rüstungsexport radikal überdenken. Zweitens geht es mir darum, eine Stimme für all jene zu sein, die die Krise nicht verursacht haben, aber nun die Zeche dafür zahlen sollen, während die Krisengewinner geschont werden. Und ich betrachte mich zum Dritten als Vereinigerin, weil ich denke, dass Ost und West noch längst nicht richtig zusammen gekommen sind.

Über Ihre Kandidatur sind nicht alle Parteigänger glücklich. Manche werben für den rot-grünen Konkurrenten Joachim Gauck.

Jochimsen: Bei meiner Aufstellung gab es keinen Linken, der gesagt hat, er sei für Gauck. Nur das zählt für mich.

Warum ist Gauck nicht wählbar?

Jochimsen: Weil er den Kriegseinsatz in Afghanistan rechtfertigt, einem Land, das von einem korrupten Präsidenten regiert wird und jeden Tag tiefer in den Abgrund gerät. Weil er nur über Freiheit redet und die soziale Gerechtigkeit ausblendet. Weil er nicht versöhnen will. Wollen Sie noch mehr hören?

Sie haben Gaucks Rolle als Kämpfer gegen die Stasi ausgeblendet. Ist Ihre Kandidatur nicht auch ein Feigenblatt für die Linke, um der Stasi-Debatte auszuweichen?

Jochimsen: Das sehe ich anders. Es war auch die PDS, die einst im Parlament für Gaucks Berufung zum Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde gestimmt hatte. Doch es wurden und werden von der Unterlagenbehörde Akten politisch instrumentalisiert. Als Stefan Heym 1994 zum Alterspräsidenten benannt wurde, wurden just am Vorabend seiner Eröffnungsrede zum neuen Bundestag Akten herausgegeben. Darin stand nichts von einer Tätigkeit als IM oder irgendeiner Nähe zur Stasi. Nur: Ein politischer Skandal wurde - vor allem von der CDU - trotzdem daraus gemacht.

Ihre Bundestagsfraktion hat Gauck zu einem Gespräch eingeladen. Warum eigentlich, wenn die Meinung der Linken über ihn längst fest steht?

Jochimsen: Wir haben auch Herrn Wulff zum Gespräch eingeladen, um seine Meinung zu hören. Es ist guter Stil, die Kandidaten von der Konkurrenz direkt kennen zu lernen. Und vielleicht ändert sich ja Herr Gauck, wenn wir unsere Fragen stellen. Vielleicht ist die Linke ja nur beleidigt, dass SPD und Grüne den Kandidaten Gauck nicht mit ihr abgestimmt haben.

Jochimsen: Die Methode "Friss Vogel, oder stirb" ist für keinen die beste. Ich denke, dass gleich zwei Chancen vertan wurden. Angesichts des außergewöhnlichen Rückzugs von Horst Köhler hätte die Kanzlerin alle Bundestagsparteien an einen Tisch laden müssen, um eine Person zu finden, die von allen getragen wird.

Bei der Präsidenten-Wahl steht auch das Schicksal der schwarz-gelben Koalition auf dem Spiel. Ihre Kandidatur stützt Merkels Kanzlerschaft, weil sich die Stimmen gegen Christian Wulff auf zwei Konkurrenten verteilen.

Jochimsen: Das mag grotesk scheinen, aber um den Preis, Frau Merkel und ihre Koalition zu schwächen, können wir Herrn Gauck nicht mitwählen.

Damit ist Christian Wulff ganz sicher der nächste Bundespräsident.

Jochimsen: Weder Gauck noch Wulff werden mit unseren Stimmen gewählt. Wir können uns an dieser ewigen Taktiererei nicht beteiligen.

Hintergrund

Eine Woche vor der Wahl des neuen Bundespräsidenten ist der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck gestern in München in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt worden. Gauck selbst blieb unverletzt, als sein Wagen einen Fahrradfahrer erfasste. Dessen Zustand wurde von der Polizei als "sehr kritisch" bezeichnet. Gauck befand sich auf dem Rückweg vom bayerischen Landtag, als das Unglück geschah. Am Steuer war ein Berufsfahrer des Landtags, den offenbar keine Schuld an dem Unfall trifft. ddp

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