Kirchgang mit Lafontaine und Gysi

Berlin. Der Name des Veranstaltungsortes entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie: In der "Auferstehungskirche", einem für Veranstaltungen umgebauten Gotteshaus im Berliner Stadtteil Friedrichshain, hatten sich Gregor Gysi und Oskar Lafontaine am Donnerstagabend verabredet

 Gysi und Lafontaine, hier ein Bild aus dem saarländischen Landtagswahlkampf, bewegen sich wieder aufeinander zu. Foto: B&B

Gysi und Lafontaine, hier ein Bild aus dem saarländischen Landtagswahlkampf, bewegen sich wieder aufeinander zu. Foto: B&B

Berlin. Der Name des Veranstaltungsortes entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie: In der "Auferstehungskirche", einem für Veranstaltungen umgebauten Gotteshaus im Berliner Stadtteil Friedrichshain, hatten sich Gregor Gysi und Oskar Lafontaine am Donnerstagabend verabredet. Sie wollten vor linkem Publikum über "Ursachen und Lösungswege für die europäische Finanzkrise" reden. Das ungeschriebene Motto indes hätte "Auferstehung einer stark belasteten Partnerschaft" lauten können. War es doch das erste Zusammentreffen des ehemaligen Linkenchefs mit dem amtierenden Fraktionsvorsitzenden nach ihrem öffentlichen Zerwürfnis auf dem Parteitag Anfang Juni in Göttingen.Dort hatte Gysi seiner eigenen Truppe einen "pathologischen Zustand" bescheinigt, von wechselseitigem "Hass" sowie "westlicher Arroganz" vieler Parteimitglieder aus den alten Ländern gesprochen. Und davon, dass es, falls sich nichts ändere, vielleicht besser sei, sich zu trennen als eine "in jeder Hinsicht verkorkste Ehe" zu führen. Worauf Lafontaine geschockt gekontert hatte, er könne Gysis Rede nur in einem einzigen Satz zustimmen, nämlich, dass ein Bruch der Linken vermieden werden müsse. Der Rest sei "Befindlichkeit".

Angeblich soll Oskar Lafontaine die Idee zu der kurzfristigen Verabredung in der Auferstehungskirche gehabt haben. Vielleicht sei dem Saarländer klar geworden, dass die parteiinterne Wirkung von Gysis Philippika doch größer war als gedacht, sagen Eingeweihte.

Absehbar ist jedenfalls, dass die Linke in nächster Zeit wieder "ostlastiger" werden dürfte und Wahlniederlagen wie die von Lafontaines Intimfeind Dietmar Bartsch in Göttingen kaum mehr machbar sind. Das liegt am Auslaufen der Satzungs-Privilegien für die nach wie vor deutlich geringere Zahl von Mitgliedern aus dem Westen, die PDS und WASG im Zuge ihrer Fusion vor fünf Jahren beschlossen hatten. Schon auf dem nächsten Bundesparteitag im kommenden Jahr werden die ostdeutschen Delegierten eine klare Mehrheit stellen. Beobachter rechnen darüber hinaus mit einem wesentlich schlechteren Bundestagswahlergebnis in den alten Ländern als beim vergangenen Mal. Entsprechend größer wäre die Front der Ostdeutschen ab Herbst 2013 auch in der neuen Fraktion. Lafontaine, der heimliche Sieger des Göttinger Parteitags, könnte dadurch ins Abseits geraten.

Wie dem auch sei, sein Kirchgang war jedenfalls hörbar vom Bemühen um Abrüstung geprägt. "Ich bin in der glücklichen Lage, jeden Satz von ihm unterstreichen zu können", lobte er diesmal Gysis Rede. Der wiederum hatte in seinem Euro-Exkurs ganz nach dem Geschmack des Saarländers auch wohlwollende Worte für die Partei eingeflochten. Dass sie "ungeheuer notwendig" sei und dass das in Göttingen gewählte Führungsduo Katja Kipping und Bernd Riexinger eine "neue politische Kultur" ausstrahle. Eine Hoffnung, die sich anfangs freilich auch mit den Vorgängern an der Parteispitze, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, verband und dann jämmerlich enttäuscht wurde.

Nach dem fast zweistündigen Annäherungsversuch auf offener Bühne, der von der Parteibasis mit viel Beifall bedacht wurde, zogen sich Gysi und Lafontaine dann zu einem Essen ins Nobelrestaurant "Aigner" am Gendarmenmarkt zurück. Der letzte Termin dieser Art fand am Rande des NRW-Landtagswahlkampfes statt. Dem Vernehmen nach hatte Lafontaine dabei von Gysi gefordert, Sahra Wagenkencht, die Lebensgefährtin des Saarländers, zur Co-Fraktionschefin zu küren. Gysi ist der Frontfrau des radikalen Parteiflügels in herzlicher Abneigung verbunden. Fortan tendierte das Verhältnis zwischen den beiden linken Zugpferden in Richtung Gefrierpunkt. Im Restaurant "Aigner" nun wurde bei Steinbutt mit Gemüse "nach vorn geschaut", wie Gregor Gysi verbreiten ließ. Immerhin scheint der Gesprächsfaden wieder geknüpft zu sein. Für die gebeutelte Linke wäre das eine gute Nachricht. Sie hat sonst keine größeren Polit-Talente.

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