„Jeder überprüfe zuerst einmal sich selbst“

Der Paderborner Theologieprofessor Peter Schallenberg warnt im Steuer-Fall von Alice Schwarzer vor ausufernder öffentlicher Verurteilung. Allerdings hält er es auch für richtig, dass Missstände von den Medien aufgegriffen werden. Mit dem Moraltheologen sprach SZ-Redakteurin Iris Neu.

Herr Schallenberg, Alice Schwarzer ist nach ihrer Steuerbeichte heftigen Attacken ausgesetzt. Man wirft ihr, die ja selbst oft den moralischen Zeigefinger erhebt, nun Doppelmoral vor. Ist das gerechtfertigt?

Schallenberg: Mein erster Gedanke ist: Jeder überprüfe zuerst einmal sich selbst - seine moralische Position, seinen Rigorismus. Denn jeder von uns ist fehlbar und versuchbar. Zum anderen ist es aber auch das unbestreitbare Verdienst unserer Mediendemokratie, dass Missstände durchleuchtet und öffentlich werden. Dass wir zusammen mit einigen anderen Staaten heute in der Welt so positiv wahrgenommen werden, liegt auch daran, dass die Medien über alles berichten. Wichtig muss aber sein, dass Personen nicht unmäßig abgekanzelt oder verurteilt werden.

Aber hier ist womöglich etwas öffentlich geworden, was nicht hätte öffentlich werden dürfen. Schwarzers Anwalt will strafrechtliche Schritte prüfen, weil das Steuergeheimnis verletzt worden ist. Gelten für Promis beim Steuergeheimnis andere Regeln?

Schallenberg: Natürlich gelten auch für Prominente keine anderen Regeln. Eine Diskussion über das Steuergeheimnis hatten wir ja auch schon um die Steuersünder-Dateien auf CDs. Aber das Steuergeheimnis ist - meiner Ansicht nach auch zu Recht - in den letzten Jahren stark abgeschmolzen worden. Schwarzer hat sich ja selbst zu ihrer Steuerhinterziehung bekannt. Ich glaube nicht, dass strafrechtliche Schritte ihres Anwalts Erfolg haben werden.

Immerhin nimmt selbst der Bund der Steuerzahler Alice Schwarzer in Schutz. Sie habe das legitime Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige genutzt und damit den Weg in die Steuerehrlichkeit gefunden. Ist damit die Frage der Moral nicht geklärt?

Schallenberg: Nach der Lehre von Immanuel Kant gibt es den Unterschied zwischen Legalität und Moralität. Möglicherweise ist der Legalität damit genüge getan, die Moralität steht dann aber immer noch in Frage. Auch die Selbstanzeige ist ja letztlich nur ein vom Gesetzgeber zugelassenes Schlupfloch, um sozusagen mit gerupftem Gefieder herauszukommen.

Dann glauben Sie also auch, dass Schwarzers Glaubwürdigkeit Schaden genommen hat?

Schallenberg: In meinen Augen nicht. Mich hat sie insofern beeindruckt, dass es ihr immer um Sachthemen ging. Und dabei habe ich sie nie als Betroffenheitsfanatikerin wahrgenommen. Dennoch muss ich zugeben: Wenn Ähnliches etwa vom Papast oder vom Dalai Lama bekannt würde, würde für mich die Glaubwürdigkeit dieser Personen leiden.

Was die Steuerehrlichkeit betrifft, war das Unrechtsbewusstsein in weiten Teilen unserer Gesellschaft lange Zeit relativ gering. Kann man nicht ebenso der Gesellschaft Doppelmoral vorwerfen, wenn sie Schwarzer jetzt so attackiert?

Schallenberg: Ja, da stimme ich zu. In gewissem Maße werden wir auch dazu erzogen von unseren Beratern, die uns auf die Sprünge helfen, wie wir es anstellen, weniger Steuern zu zahlen. Ein deutscher Steuerrechtler hat mal gesagt: Unser kompliziertes Steuersystem erzieht uns dazu, guten Gewissens nach Schlupflöchern zu suchen. Insofern kann man Schwarzer sicherlich nicht vorwerfen, dass sie von krimineller Energie getrieben war.

Schwarzer selbst spricht von einem "Dammbruch für die Medien". Halten Sie ihre Reaktion für gerechtfertigt - nachdem sie sich in ihrem Blog selbst geäußert hat?

Schallenberg: Nein, das halte ich schon für etwas übertrieben. Da gilt für mich der alte Satz: Wem es in der Küche zu heiß ist, der muss draußen bleiben. Wenn ich also Einladungen in Talkshows gerne annehme, muss ich es später auch ertragen, wenn jemand feststellt, dass ich zwei verschiedenartige Socken anhabe.

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