Eine der ältesten Gemeinschaften

Damaskus. Als vor 17 Monaten der "Arabische Frühling" auch in Syrien Einzug hielt, schlossen sich auch manche, insbesondere jugendliche Angehörige der christlichen Minderheit den friedlichen Protesten gegen das Regime Baschar al-Assads an

 Die christliche Gemeinschaft in Syrien hat eine 2000 Jahre alte Tradition. Unser Foto zeigt Gläubige in einer Kirche in Damaskus. Foto: dpa

Die christliche Gemeinschaft in Syrien hat eine 2000 Jahre alte Tradition. Unser Foto zeigt Gläubige in einer Kirche in Damaskus. Foto: dpa

Damaskus. Als vor 17 Monaten der "Arabische Frühling" auch in Syrien Einzug hielt, schlossen sich auch manche, insbesondere jugendliche Angehörige der christlichen Minderheit den friedlichen Protesten gegen das Regime Baschar al-Assads an. Doch als der Diktator mit ungeheurer Brutalität zuzuschlagen begann, sich die Opposition zunehmend militarisierte und radikalisierte, zogen sich die christlichen Aktivisten zurück. Nun aber hat die eskalierende Gewalt auch die Christenviertel der beiden größten Städte Aleppo und Damaskus erfasst. Christen geraten zwischen die Fronten. Zugleich häufen sich alarmierende Berichte über gezielte Attacken radikaler Islamisten, die Christen wegen ihrer Religionszugehörigkeit bedrohen und auch töten.Manche Gegner Assads beschuldigen sie der Kollaboration mit dem Regime. Andere - kriminelle Gewalttäter - entführen sie, um Lösegeld zu erpressen. Mit wachsenden Existenzängsten, geschürt durch die Ereignisse in Quseir, nehmen immer mehr Christen das Waffen-Angebot des Regimes an, um sich selbst zu schützen. Nach etwa sieben Monaten der Belagerung durch Assads Sicherheitskräfte hatten sunnitische Geistliche in dieser Stadt den etwa 10 000 Christen, die sie der Kollaboration mit dem Regime bezichtigten, ein Ultimatum gestellt. Sie sollten die Stadt verlassen. Fast alle flüchteten. In der Rebellenhochburg Homs haben Angehörige der bewaffneten Opposition christliche Stadtviertel gesäubert. Nur etwa 400 der einst rund 80 000 christlichen Bewohner harren dort noch aus.

Dabei hatte das Gebiet des heutigen Syrien in der Geschichte ein Musterbeispiel eines Lebens in religiöser Harmonie geboten. Eine der ältesten christlichen Gemeinschaften hat sich hier seit 2000 Jahren entwickelt. Niemals in der Geschichte gab es auf dem Boden des heutigen Syrien eine Christenverfolgung. Mehr als zwei Millionen Christen leben heute in Syrien, etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Christen sind nach Religionszugehörigkeit und politischer Einstellung gespalten. Die griechisch orthodoxe und griechisch katholische Kirche sind die größten christlichen Glaubensgemeinschaften, gefolgt von Maroniten, Katholiken, Syrisch-Orthodoxen, Assyrern, Armenisch-Orthodoxen und armenischen Katholiken.

Traditionell leben die Christen in städtischen Gebieten, die meisten in Aleppo, das mehr als 40 Kirchen beherbergt. Sie zeichnen sich durch einen relativ hohen Bildungsgrad aus, gehören überwiegend der Mittelschicht an und genossen bisher in Syrien den größten Freiraum im gesamten Nahen Osten: keine berufliche und politische Diskriminierung und völlige Religionsfreiheit. Die 40-jährige Herrschaft der Assads, die sich stets als Schutzherren der Minderheiten präsentierten, setzte de facto nur einen religiösen Liberalismus fort, der in Syrien traditionell bestanden hatte. Das Regime spielte diese Schutzrolle aber zur Absicherung seiner Macht und im Kampf gegen die sie bedrohenden radikalen Sunniten aus.

Nun wollen sich die Christen aber nicht mehr instrumentalisieren lassen. Sie "müssen sich nicht zu ihrem Schutz hinter einem Regime verbergen", betont der Geistliche Nadium Nassar im britischen "Guardian". "Wir sind geschützt durch die Tatsache, dass wir Syrer sind, ursprünglicher Teil des Grundgefüges unserer Gesellschaft." Doch auch Nassar befürchtet, dass radikale Islamisten an Macht gewinnen und die "Traditionen der Ko-Existenz und religiöser Harmonie" zerstören könnten. In Wahrheit geht es in diesem Krieg zunehmend nicht mehr nur um Macht. Es geht um die Seele Syriens.

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