Eine Renaissance der Industriekultur? Wer was bei der Umwidmung zu entscheiden hat

Saarbrücken. Der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes Reinhard Klimmt (SPD) würde sich am liebsten "an jeden Förderturm ketten". So formulierte er es im Dezember vergangenen Jahres, in der bislang einzigen (!) Veranstaltung, die fragte: Was kommt nach der Kohle? Das geschah auf Initiative der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung

 Was aus alten Bergbau-Flächen - hier das Gelände der Grube Göttelborn - wird, damit befassen sich mehrere Arbeitsgruppen. Foto: Engel

Was aus alten Bergbau-Flächen - hier das Gelände der Grube Göttelborn - wird, damit befassen sich mehrere Arbeitsgruppen. Foto: Engel

Saarbrücken. Der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes Reinhard Klimmt (SPD) würde sich am liebsten "an jeden Förderturm ketten". So formulierte er es im Dezember vergangenen Jahres, in der bislang einzigen (!) Veranstaltung, die fragte: Was kommt nach der Kohle? Das geschah auf Initiative der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Das lokalpatriotische, traditionsträchtige Thema hat SPD-Chef Heiko Maas bislang solitär besetzt, ein einsamer Mahner. Er vermisst bei der Landesregierung Planungen zum Erhalt des industriekulturellen Erbes nach 2012: "Wir brauchen eine dauerhaft erlebbare Erinnerungskultur, von einer Ausstellung bis jin zur Frage, wie wir mit den Zechen und Fördertürmen umgehen."Alles in der Mache? Seit 2010 existiert im Wirtschaftsministerium ein "Lenkungskreis Bergbauflächen" mit vielfachen Unter-Arbeitsgruppen, darunter auch eine zum "Kulturellen Erbe". Im April 2011 wurde zusätzlich eine Stabsstelle bei Staatssekretär Joachim Kiefaber (FDP, Foto: Rau) eingerichtet, die der Industriekultur-Experte Delf Slotta leitet. Alles läuft in engster Abstimmung mit den Kommunen und der Eigentümerin, der RAG Montan Immobilien (RMI). Es geht um die Umwidmung eines Immobilien-Bestandes von 808 Gebäuden, davon 350 Wohnhäuser und von über 20 denkmalgeschützter Anlagen auf einer Gesamtfläche von 2500 Hektar. Daraus sollen Gewerbe- und Industriegebiete, Wohnflächen, Energie-Standorte, Naherholungsgebiete werden. Eine gigantische Aufgabe, unterfüttert mit heiklen denkmalpflegerischen Fragen. Für die wiederum ist das Umweltministerium zuständig, die Industriekultur wird weiter im Kultusministerium gemanagt. Ein Zuständigkeits-Dschungel. Einst wurde deshalb eine autarke Industriekultur Saar GmbH (IKS) gegründet, samt paradiesischer Finanzausstattung (60 Millionen Euro) für hochwertige Infrastruktur-Konzepte an den "Zukunftsorten" Reden und Göttelborn. "Was auf diesen ehemaligen Bergbau-Flächen an Gebäude-Erhalt möglich war, wird sich nicht wiederholen lassen", sagt Landesdenkmal-Chef Josef Baulig. Seine Denkmalliste weist 38 Industriedenkmäler aus, 15 werden als hochrangig eingestuft, wobei sich zehn davon in RAG-Besitz befinden. Nach ersten Schätzungen sind höchstens 20 Prozent des Bestandes überhaupt für eine bauliche Weiternutzung geeignet, im Umfeld existieren Kontaminationen. Bei der Umwidmung ergibt sich zudem denkmalgesetzlich eine höchst prekäre Situation: Wenn der Erhalt von Fördertürmen oder Schachtanlagen "wirtschaftlich unzumutbar" ist, darf abgerissen werden. Baulig: "Für die RAG und für jeden Investor wäre es ein Leichtes, dies nachzuweisen." Der Landesdenkmalchef hat sich deshalb auf "Verluste" eingestellt. Wie massiv die sein könnten, verdeutlicht eine Aussage des Lenkungskreis-Chefs Kiefaber: "Wenn wir zwei oder drei Fördertürme retten können, sind wir stolz." Sein Gremium wird ein Gutachten in Auftrag geben, das rund ein Dutzend der 20 RAG-Denkmäler "auch unter ökonomischen Gesichtspunkten" evaluiert: "Wir brauchen einen externen, wertneutralen Blick", sagt Kiefaber. Vom Lenkungskreis wurden zudem vier "Referenz- und Beispiel-Projekte" definiert, die man besonders vermarkten will, um "Akzeptanz und Emotion" zu schaffen für den Umwälzungs-Prozess: der Energiepark Luisenthal, die Folgenutzung der letzten Saar-Grube Ensdorf-Duhamel, das Gewerbegebiet Wackenberg (Bergehalde Griesborn) und die Gasmaschinenzentrale Heinitz. Doch es gilt laut Kiefaber: "Dafür gibt es nur die üblichen Fördertöpfe, wir haben kein Extrageld." Er setzt auf die RAG: Die dürfe sich im Saarland keinen Flopp erlauben, schließlich laufe hier der Testlauf für den finalen Kohle-Förderstopp 2018 an der Ruhr.

Auch Kulturminister Karl Rauber (CDU) rechnet mit der Großzügigkeit der RAG. Von ihm ist zu erfahren, dass in seinem Ministerium nicht nur kein Kommunen- und Institutionen-übergreifender Spielplan für die kulturelle Begleitung der Zäsur 2012 erarbeitet wurde und wird, sondern dass auch die einst angedachte Groß-Ausstellung zur Historie des Bergbaus an der Saar nicht realisiert wird. Zwei Millionen hätte die gekostet, sagt Rauber: "Das ist nicht vermittelbar." Nun will Rauber Teile des Konzeptes umsetzen, maximales Budget: eine Million Euro. Doch pünktlich zum Stichtag 30. Juni sei dies nicht mehr zu schaffen, so Rauber. Als Ausstellungsort ist eine Halle im Redener Zechenhaus vorgesehen; Rauber denkt an eine Dauerausstellung. "Ich erwarte insgesamt mehr Unterstützung von der RAG", sagt er.

Die wiederum scheint überzeugt, genug zu leisten. Geplant ist am 30. Juni 2012 ein würdevoller "Tag des Abschieds", eine Metten-Schicht in Ensdorf. Außerdem wird dort eine Landmarke errichtet (500 000 Euro). Die Menschen hätten Bedarf an Symbolen und Signalen, meint Friedrich Breinig, Direktor des Bergwerks Saar. Breinig versteht nicht, warum kein "Leitbild" für die Industriekultur entwickelt ist, warum nicht längst eine touristisch vermarktbare "Route der Industriekultur" steht. Derweil erreichen erste Hilferufe lokaler Denkmalrettungs-Initiativen die SPD-Zentrale. 500 Menschen haben sich dieser Tage zusammengeschlossen, um die RAG davon abzubringen, das Erlebnisbergwerk Velsen plattzumachen. Saarbrücken. Bei der Umwidmung der RAG-Flächen hat nicht nur das Landesdenkmalamt, sondern auch das Bergamt in Saarbrücken und das Landesamt für Umweltschutz (LUA) mitzureden. Das Land dringt auf einen abgestimmten Prozess. Es geht um viel Geld, zugleich herrscht eine restriktive Förder-Situation, denn die RAG lebt von Subventionen. Das Unternehmen ist gesetzlich verpflichtet, die Bergbau-Flächen rekultiviert zurückzugeben,von Altlasten zu befreien und wieder in Wert zu setzten. Es besteht keine Sonder-Verpflichtung, Denkmäler zu erhalten. Bei einer Umnutzung ergeben sich zwei Möglichkeiten: Wird ein Gelände veräußert, kann die RAG ersparte Abrisskosten an den neuen Eigentümer weitergeben. Bei einer Vermietung dürfen nur dann Gelder fließen, wenn vertraglich eine Rendite zugesichert wird. Zusätzlich existiert eine RAG-Stiftung, die für die sogenannten Ewigkeitskosten des deutschen Bergbaus zuständig ist. Sie kann Sonder-Projekte unterstützen.

Friedrich Breinig, Direktor des Bergwerks Saar (Ensdorf), zeigt sich skeptisch ob der vorherrschenden Meinung, man könne 2500 Hektar Flächen großteils zu Gewerbe- und Industriegebieten entwickeln. Manche Areale seien bisher nie genutzt worden: "Man muss Flächen auch an die Natur zurückgeben." Der Vorsitzende des Lenkungskreises Bergbau, Wirtschafts-Staatsekretär Joachim Kiefaber (FDP), kündigt an, es werde keine "Rosinenpickerei" geben, sondern ein systematisches Verfahren. Bis Ende 2011 will man eine Potenzial-Analyse aller Standorte und eine Prioritätenliste für die Vermarktung fertig haben, 2012 müssten die Neu-Nutzungen definiert sein. ce

"Wenn wir

zwei oder drei Fördertürme retten können, sind wir stolz."

Wirtschafts-

Staatssekretär

Joachim Kiefaber

Auf einen Blick

15 Bergbaustandorte wurden vom Landesdenkmalamt als besonders bedeutend eingestuft: Maschinenhalle Heinitz (1904); Schacht III der Grube Itzenplitz (1886); Reden (1939/40); Maybach (1907); Umspannwerk Hühnerfeld (1925); Camphausen (1911/12); Göttelborn (1935-1940); Von der Heyd mit Siedlung (1880); Delbrückschacht Großrosseln (1908), Velsen (1915). Warndt-Schacht (1962-1965), Merlebach Nord (1949); Duhamel Ensdorf (1917/1924); Ney-Schacht Schwalbach (1900/1924); Nord-Schacht Lebach (1886). ce

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