Düstere Wahrheiten

Berlin · Wie man's macht, macht man's verkehrt: Als Finanzminister Schäuble verkündete, es werde für Griechenland noch einmal ein Programm geben müssen, erntete er Kritik aus den eigenen Reihen. Dabei wollte der Minister die Wahrheit sagen – vor der Wahl.

Intensiv war die Bundesregierung am Wochenende bemüht, die von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausgelösten Spekulationen um ein drittes Hilfspaket zu Griechenland wieder zu beruhigen. Doch melden sich auch aus dem eigenen Lager immer mehr Stimmen, die von einer solchen Aktion ausgehen. Schäuble selbst verteidigte seinen Vorstoß.

Der Finanzminister hatte letzte Woche bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ahrensburg gesagt: "Es wird in Griechenland noch einmal ein Programm geben müssen." Dafür erntete er Kritik unter anderem von CSU-Chef Horst Seehofer, der die Äußerung als "nicht sehr glücklich bezeichnete". FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle nannte sie "verfrüht".

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen verwiesen darauf, dass der Druck auf Griechenland nicht nachlassen dürfe. "Kündigt man zu früh neue Hilfen an, wird der Reform-Elan nicht größer", sagte Westerwelle. Doch der Finanzminister rechtfertigte sich gestern: Er habe sich geäußert, weil es die öffentliche Unterstellung gebe, dass die Regierung vor der Wahl nicht die Wahrheit sage und einen Schuldenschnitt für Griechenland plane. Den werde es aber definitiv nicht geben. Bei einem erneuten Schuldenschnitt würden erstmals auch die deutschen Steuerzahler beteiligt, weil ein Großteil der Schulden Griechenlands mittlerweile in Händen europäischer Institutionen liegt.

Die Spitze der Regierung versuchte, die Debatte zu entschärfen. Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) sagte gestern auf Anfrage, das zweite Griechenland-Paket laufe bis 2014. Erst dann könne man sehen, ob weitere Hilfen nötig seien. Ähnlich äußerte sich Kanzlerin Angela Merkel. Erst im nächsten Jahr werde man sich mit der Frage befassen, wie die Entwicklung des Schuldenstandes und der Strukturreformen in Griechenland sei. Das habe man immer gesagt. Schäuble betonte am Sonntag auf einer Bürgerveranstaltung in Berlin, er sehe sich nicht im Gegensatz zu dieser Linie. "Die Wahrheit ist aber auch, dass es hochwahrscheinlich ist, dass es zu einem weiteren Rettungspaket kommt."

Mit dieser Einschätzung ist er offenbar in der CDU nicht allein. So rechnet EU-Kommissar Günther Oettinger damit, dass ein drittes Paket "einen kleinen zweistelligen Milliardenbeitrag" umfassen und von 2014 bis 2016 laufen wird. Einen Schuldenschnitt schloss er kategorisch aus. Der frühere Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark, hält jedoch auch einen solchen Schritt für unvermeidbar. Derzeit liege Griechenlands Schuldenstand bei 157 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und werde durch ein drittes Hilfspaket noch weiter steigen. Offenbar um das zu vermeiden, brachte CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder die Idee ins Spiel, Griechenland mit Strukturfondsmitteln aus dem EU-Haushalt zu helfen, was den Schuldenstand nicht belasten würde.

Der FDP-Euro-Rebell Frank Schäffler zeigte sich gegenüber unserer Zeitung überzeugt, dass sowohl ein drittes Hilfspaket als auch der Schuldenschnitt zu Lasten der Steuerzahler kommen werden. Schon bei den ersten beiden Hilfspaketen sei klar gewesen, dass sie dem Land nicht durchgreifend helfen könnten. "Jetzt wird man noch einmal versuchen, Mittel aus verschiedenen Töpfen zusammenzukratzen, um eine Schuldenschnitt zu vermeiden." Es fehle aber wesentlich mehr als die vom Weltwährungsfonds für 2014 genannten elf Milliarden Euro. So habe Griechenland statt der eingeplanten 50 Milliarden Euro nur zwei Milliarden Euro aus Privatisierungen erlöst. Und die im Rahmen des zweiten Rettungspaketes vorübergehend gestundeten Zinsen beliefen sich auf über 40 Milliarden Euro.

Schäffler forderte, die Wahrheit über die Lage in Griechenland zu sagen. "Viele glauben den Schönfärbereien sowieso nicht mehr." Nach seiner Überzeugung müsse Griechenland nach einem zweiten Schuldenschnitt aus dem Rettungsschirm entlassen werden und dann selbst sehen, ob es im Euro-Raum bleiben wolle und könne. "Es funktioniert nicht, demokratische Regierungen mit Druck umerziehen zu wollen", sagte Schäffler.

Zum Thema:

HintergrundSollte Griechenland tatsächlich ein drittes Rettungsprogramm benötigen, würde sich dieses nach Schätzung der Regierung in Athen auf rund zehn Milliarden Euro belaufen. Eine Zahl "in dieser Größenordnung" prognostizierte Finanzminister Giannis Stournaras im Gespräch mit der griechischen Sonntagszeitung "Proto Thema". Sofern ein neues Rettungspaket fällig wird, könnte dies nach Ansicht des Ministers aber - anders als bisher - keine zusätzlichen Spar- und Reformauflagen für Athen mehr enthalten. afp

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort