Deutschlands ungelöste Veteranen-FrageNato stoppt Afghanistan-Planungen

Brüssel. Die Zukunft Afghanistans ist ungewisser denn je. Und das liegt ausnahmsweise mal nicht an den Terroristen der Taliban, sondern an der Nato. Die muss ihre Planungen für die Zeit nach dem versprochenen Abzug der Kampfeinheiten bis Ende 2014 nämlich völlig neu sortieren

Brüssel. Die Zukunft Afghanistans ist ungewisser denn je. Und das liegt ausnahmsweise mal nicht an den Terroristen der Taliban, sondern an der Nato. Die muss ihre Planungen für die Zeit nach dem versprochenen Abzug der Kampfeinheiten bis Ende 2014 nämlich völlig neu sortieren. "Dafür brauchen wir Zeit", sagte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière gestern zum Auftakt der zweitägigen Beratungen mit seinen Kollegen in Brüssel. "Wir befinden uns im Planungsprozess. Beschlüsse sind heute und morgen nicht zu erwarten", betonte auch Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

Auslöser der tiefen Verunsicherung ist kein geringerer als US-Präsident Barack Obama. In der Vorwoche hatte dessen Unterhändler, Generalleutnant Douglas Lute, die Botschafter der Allianz in Brüssel darüber informiert, dass die Vereinigten Staaten den Abzug deutlich "radikaler" umsetzen wollten, als bisher gedacht. Weniger als 10 000 Soldaten (derzeit 66 000) sollen am Hindukusch bleiben. Bislang hatte es stets geheißen, Washington werde auch nach 2014 den Großteil der rund 15 000 Mann starken Trainingsmission stellen, die die Isaf-Mission ablösen soll.

Damit kann die Allianz alle bisherigen Planungen in den Papierkorb werfen, weil der angedachte Schlüssel der Truppensteller-Staaten nicht länger zu halten ist. Auch der Bundesverteidigungsminister ließ durchblicken, dass man nunmehr wieder von vorne beginnen müsse: "Die ersten Operationspläne sind gestoppt worden."

Berlin und andere Europäer wollen nun zuerst über den exakten Auftrag der Trainingsmission unter dem Namen "resolute support" (entschlossene Unterstützung) reden, aus der sich dann die Anforderungen für Logistik, bewaffneten Schutz, Versorgung und Rettungswesen ergeben. De Maiziere: "Erst wenn wir das wissen, können wir auch Zahlen nennen." Doch davon sei man noch weit entfernt.

Nur: Die Sehnsucht nach Abzug der Truppen hat zahlreiche Nato-Regierungen erfasst. Darüber hinaus sind die USA im Augenblick nicht handlungsfähig. Der neue Verteidigungsminister Chuck Hagel wird wegen fehlender Bestätigung durch den Senat in Brüssel noch von seinem Vorgänger Leon Panetta vertreten. Und nachdem US-General John Allen vor wenigen Tagen das Handtuch geworfen hat, ist dem Bündnis auch noch ein neuer militärischer Oberbefehlshaber abhanden gekommen. "Das sind keine guten Voraussetzungen, um eine solche Mission sauber abzuwickeln und eine neue zu installieren", hieß es gestern am Rande des Ministertreffens von Militärs. Um die Agonie zu überwinden, haben Generalsekretär Rasmussen und sein Stab inzwischen sogar einen eintägigen Nato-Sondergipfel ins Gespräch gebracht, der im Juni in Brüssel stattfinden könnte. Berlin. Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung sprach 2008 plötzlich von "Gefallenen" statt von "Einsatzunfallopfern", ein Tabubruch. Sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg nannte die Situation in Afghanistan als erster ungeschminkt "Krieg". Und nun will Thomas de Maizière, dass die Gesellschaft die von den Auslandseinsätzen heimkehrenden Soldaten als "Veteranen" achtet. Ist das der Versuch, das Land sprachlich zu militarisieren? Oder nur Hinwendung zur Realität?

"Wir haben jahrelang eine verdruckste Sprache gesprochen, die verschleiernd war", sagte de Maizière kürzlich beim Neujahrsempfang der Militärseelsorge in München. Und nahm gleich die Worte "sterben" und "töten" in den Mund.

Seinen ersten Vorstoß zur Ehrung von Veteranen machte de Maizière vor einem Jahr, damals verbunden mit der Anregung, einen Gedenktag für sie einzurichten und vielleicht eine Tapferkeitsmedaille zu schaffen. Im Herbst legte er eine Definition nach: Veteran sei ein ehemaliger Bundeswehrangehöriger, der im Auslandseinsatz war. Schätzungsweise 200 000 Soldaten fallen inzwischen in diese Kategorie, und wenn der Afghanistan-Einsatz beendet wird, werden viele dazukommen. Es gibt auch schon eine Interessensvereinigung, Bund Deutscher Veteranen. Ihr Vorsitzender Andreas Timmermann-Levanas fordert "Symbole der Anerkennung". Das reicht von einer Veteranenkarte, mit der bestimmte Vorteile gewährt werden, über eine Sonderbriefmarke bis zu einer würdevollen Empfangszeremonie, wenn die Soldaten aus dem Einsatz zurückkehren. Bei Timmermann-Levanas hört man durch, dass die Veteranen vor allen Dingen belastet, wie wenig die deutsche Öffentlichkeit von ihnen Notiz nimmt. "Wir waren mit der deutschen Fahne im Einsatz, während daheim die Leute unter der gleichen Fahne ein Fußball-Sommermärchen gefeiert haben", sagt er.

Die SPD reagierte bisher skeptisch. Man könne Anerkennung nicht verordnen, befand ihr verteidigungspolitischer Sprecher Rainer Arnold. Ausgerechnet die Bundestagsfraktion der Grünen veranstaltete in dieser Woche als erste und einzige in Berlin ein Fachforum zum Thema. Es gehe, erklärte die Abgeordnete Agnieszka Brugger, nicht um die Anerkennung der Kriegseinsätze selbst. Das sei eine andere Diskussion. Es gehe um die Würdigung der Soldaten und ihrer Erlebnisse. Schließlich habe der Bundestag sie im Namen des deutschen Volkes rausgeschickt. "Man muss den richtigen Weg zwischen Glorifizierung und Ignoranz" finden, ergänzte auch ihr Kollege Omid Nouripur. Der frühere Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtweih sagte, es sei gesellschaftlich brisant, wenn Tausende von Männern, die im staatlichen Auftrag geschossen und getötet hätten, nicht beachtet würden. Er schlug den Tag der internationalen "Uno-Peacekeeper" (Friedenssicherer), den 29. Mai, als jährlichen Veteranen-Gedenktag vor. Allerdings dann auch für Polizisten im Auslandseinsatz.

Widerspruch gab es auch. Der Grünen-Abgeordnete Tom Koenigs nannte den Veteranen-Begriff "schwülstig". Die zivilen Entwicklungshelfer waren ebenfalls vertreten. Sie verlangten für ihre Arbeit genauso Anerkennung, wollten aber keinesfalls mit den Soldaten in einen Topf geworfen werden. Und der Bundeswehrverband schließlich befand, seine Mitglieder bräuchten das Ganze nicht. Eine funktionierende staatliche Fürsorge für die heimkehrenden Soldaten sei viel wichtiger.

De Maiziere ahnt wohl, dass er mit seinem begrifflichen Vorstoß größere Schwierigkeiten haben wird, als seine Vorgänger bei ihren Wortprägungen. Auch weil der Begriff aus dem Zweiten Weltkrieg belastet ist. Jedenfalls verzichtet der Minister nun doch auf ein eigenes Konzept für die Veteranenehrung. Es nütze ja nichts, sagte er in München, wenn er zeige, dass er stolz auf die Bundeswehr sei. "Das sind wir sowieso." Notwendig sei vielmehr, dass sich aus der Gesellschaft heraus Ideen für die Ehrung der Veteranen entwickelten. De Maiziere will also, dass die Anerkennung von unten und von Herzen kommt. "Man muss den richtigen Weg zwischen Glorifizierung und Ignoranz finden."

Omid Nouripur, Grüne

Meinung

Alles wieder

am Anfang

Von SZ-Korrespondent

Detlef Drewes

Die Nato steht wieder am Anfang. Denn das einseitige Aufkündigen der bisherigen Planung durch die USA bringt weit mehr als nur ein paar militärische Konzepte für die Zukunft Afghanistans durcheinander. Genau genommen gibt es bis heute keine wirkliche Klarheit über die konkrete Aufgabe der Mission, die das Bündnis der Regierung in Kabul angeboten hat.

Allein dieser Aspekt zeigt, was Verteidigungsminister de Maizière seit langem betont: Für die Zukunft des Landes sind Streitkräfte zwar nötig. Aber sie sind nur ein Teil des Gesamtkonzepts, und nicht einmal der wichtigste. Die Politiker der Nato-Staaten und in Afghanistan müssen jetzt Rahmenbedingungen schaffen, damit ein Friedensprozess in dieser Region Fuß fassen kann.

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