"Der Staatsanwalt ist unser ständiger Begleiter"

Bedeutet das Bombardement vom Kundus-Fluss am 4. September einen Einschnitt für den Afghanistan-Einsatz? Ulrich: Für mich war der erste Einschnitt ein Zwischenfall im August 2008, als ein Oberfeldwebel südlich von Kundus an einem Checkpoint seine Waffe einsetzte, weil er sich bedroht fühlte, zu Recht wie die zuständige Staatanwaltschaft festgestellt hat

Bedeutet das Bombardement vom Kundus-Fluss am 4. September einen Einschnitt für den Afghanistan-Einsatz?

Ulrich: Für mich war der erste Einschnitt ein Zwischenfall im August 2008, als ein Oberfeldwebel südlich von Kundus an einem Checkpoint seine Waffe einsetzte, weil er sich bedroht fühlte, zu Recht wie die zuständige Staatanwaltschaft festgestellt hat. Er zielte auf das Nummernschild eines Autos, doch die Kugeln töteten im Innern des Fahrzeugs eine Frau und ihre zwei Kinder. Ein solcher Vorfall ist eine Tragödie.

Dieser Zwischenfall wurde aber öffentlich kaum wahrgenommen.

Ulrich: Nein, aber er weist viele Parallelen zum 4. September auf. Erst beim Luftschlag gegen die beiden Tanklastfahrzeuge, bei dem bis zu 142 Menschen starben, hat die Öffentlichkeit gemerkt, was da unten los ist. Dass wir uns nämlich im Raum Kundus in Kriegszuständen befinden, dass dort Kampf und Tod und Verwundung zur Tagesordnung gehören. Und dass unsere Frauen und Männer selbst töten müssen, um in diesem Gefecht zu bestehen. Das ist die neue Dimension.

Wie reagiert die Truppe in Afghanistan auf die Debatte um den Bombenzwischenfall vom 4. September. Traut sich überhaupt noch ein Offizier Luftunterstützung anzufordern?

Ulrich: Diejenigen, die Verantwortung tragen, und das geht vom Kommandeur runter bis zum MG-Schützen, die haben alle im Hinterkopf, dass der Staatsanwalt ihr ständiger Begleiter ist. Und der eine oder andere denkt sich: Ich ziehe lieber den Kopf ein, mache gar nichts, bevor ich hier irgendetwas falsch mache. Das aber ist der schlechteste Ratgeber im Einsatz, im Zweifel auch ein gefährlicher.

Was muss geschehen, um dieses Problem zu lösen?

Ulrich: Für mich trägt es skandalöse Züge, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen nach acht Jahren immer noch nicht sauber geklärt sind.

Was ist da zu klären?

Ulrich: Die Frage ist doch: Handelt es sich in Afghanistan um einen Polizeieinsatz, dann gelten unsere normalen Strafgesetze. Oder ist das ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt. Dann gilt das Völkerstrafgesetzbuch, bei dem das Kriegsvölkerrecht anzuwenden ist. Und diesen Zustand haben wir meines Erachtens in Afghanistan.

Wer soll die rechtliche Klärung herbeiführen?

Ulrich: Es ist eindeutig Aufgabe der Bundesregierung, hier eine Entscheidung zu treffen. Ich fordere von Angela Merkel und ihrem Kabinett eine solche Entscheidung noch bis zum Jahresende. Denn die Unsicherheit ist den deutschen Soldaten nicht länger zuzumuten, erst recht nicht, wenn der Einsatz im nächsten Jahr noch ausgeweitet werden soll. Dass jetzt im Gefolge des Kundus-Zwischenfalls die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe die grundsätzliche Frage klären soll, halte ich für ebenso skandalös. Die Politik darf sich nicht wegducken.

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