Bio kann viel mehr

Saarbrücken. Auf 5,6 Prozent der Felder, Wiesen und Obstplantagen sowie 5,2 Prozent der Bauern hat es der ökologische Landbau in Deutschland inzwischen gebracht. Eine Fläche gut halb so groß wie Thüringen wird demnach weder künstlich gedüngt noch mit umweltschädlichen Pestiziden traktiert - um nur zwei der wichtigsten Merkmale biologischer Landwirtschaft zu nennen

Saarbrücken. Auf 5,6 Prozent der Felder, Wiesen und Obstplantagen sowie 5,2 Prozent der Bauern hat es der ökologische Landbau in Deutschland inzwischen gebracht. Eine Fläche gut halb so groß wie Thüringen wird demnach weder künstlich gedüngt noch mit umweltschädlichen Pestiziden traktiert - um nur zwei der wichtigsten Merkmale biologischer Landwirtschaft zu nennen. Nach Jahrzehnten zögerlichen Wachstums ist der Ökolandbau kein zartes Pflänzchen mehr.Doch wer beim Essen mit anderen über den Sinn von Bio-Kost diskutiert, macht immer wieder dieselbe Erfahrung: Menschen, die bereit sind, mehr Geld für Öko-Ware auszugeben, begründen dies fast ausnahmslos damit, dass Bio-Lebensmittel gesünder seien als konventionell erzeugte. Auch der bessere Geschmack wird noch ins Feld geführt - was regelmäßig Kontroversen auslöst und Publizisten auf den Plan ruft, die lustvoll am guten Ruf der Bio-Ware kratzen und so selbst umweltbewusste Verbraucher verunsichern. Dabei wird regelmäßig übersehen, dass die ökologische Landwirtschaft - sofern professionell und engagiert betrieben - in vielfältiger Weise vorteilhaft ist. "In der öffentlichen Diskussion um Bio-Erzeugnisse wird die Frage ihres Mehrwertes im Vergleich zu konventionellen Produkten immer menschenzentriert geführt", sagt Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick zwischen Basel und Zürich. "Es wird gefragt, ob sie gesünder sind oder besser schmecken. Und beim höheren Preis von Bio-Kost geht es immer nur darum, ob sie dafür auch mehr Vorteile für den Menschen bringt." Studien nähren ZweifelWomöglich ist das schon deshalb kein Wunder, weil immer wieder einmal eine Studie Zweifel daran nährt, ob Bio-Produkte wirklich gesünder sind als herkömmlich erzeugte. Als Koordinator einer im Mai veröffentlichten Ernährungs-Studie für die EU lässt sich Niggli aber nicht beirren: Wer sich konsequent von Öko-Produkten ernähre, nehme "mindestens zehn bis 20 Prozent mehr" sekundäre Pflanzenstoffe auf - darunter Vitamine sowie die für das Herz-Kreislaufsystem förderlichen Antioxidantien. Auch höhere Werte der gesundheitsrelevanten, mehrfach ungesättigten Fettsäuren fanden sich laut der Qlif-Studie in Bio-Produkten, außerdem weniger Schwermetalle, Anti-Pilz-Gifte und Pestizid-Rückstände. Noch nicht untersucht worden ist, "ob ich über diese Art der Ernährung eine Gesundheitswirkung erziele", merkt Niggli an. Man wisse aber aus einer US-Studie, dass Bio-Nahrung die Niere schone. Bei mit Öko-Kost ernährten Kindern sei der Gehalt von Pestizid-Stoffwechselprodukten im Urin "massiv" runtergegangen. "Das heißt, die Niere musste weniger Pestizid-Abbauprodukte ausscheiden", sagte Niggli gegenüber der "Frankfurter Rundschau". So viel zum vielbemühten Thema Gesundheit.Etliche andere Wohlfahrtswirkungen des Öko-Landbaus werden fast gar nicht wahrgenommen - etwa die artgerechtere Tierhaltung, der Schutz des Grundwassers vor dem Eintrag von Pestiziden und Nitraten oder der Schutz der Ackerböden vor Erosion und Fruchtbarkeitsverlust. Zudem fördert der Biolandbau die Artenvielfalt in Feld und Flur, ist klimaverträglicher und schützt die Gesundheit der Menschen beispielsweise auf den Bananenplantagen der Entwicklungsländer. Mit solchen Argumenten aber "lockt man keinen Leser hinterm Ofen hervor", sagt Renée Herrnkind, die Sprecherin des Bio-Anbauverbandes Demeter. "Wir kommunizieren das schon, aber es wird von den Medien nicht so übernommen." Für viele Menschen seien Gesundheitsargumente nun mal "entscheidend und der Grund dafür, weshalb sie auch mehr für Bio-Lebensmittel ausgeben". Aus Sicht von Urs Niggli müsste den Verbrauchern jedoch dreierlei klarer vermittelt werden: Erstens seien Bio-Lebensmittel im Durchschnitt gesünder als konventionell erzeugte, zweitens würden sie umwelt- und naturverträglicher angebaut und drittens sei die Denkweise der ökologischen Landwirtschaft zukunftsgerechter, weil nachhaltiger. Dieser Dreiklang der Wohlfahrtswirkungen werde aber so durch Medien und Werbung nicht vermittelt. "Zum Prototyp der Konsumentin von Öko-Ware ist die junge Mutter geworden, die nur das Beste für ihr Kind will", beklagt der Schweizer Pflanzenbau-Experte die einseitige Vermarktung. Ungelesene BroschürenProfessor Jürgen Heß hingegen kann eine nennenswerte Mitschuld der Umwelt und Anbauverbände nicht erkennen. "Es gibt jede Menge Broschüren, Info-Veranstaltungen oder die Internet-Seite www.oekolandbau.de, mit denen die Leistungen des Ökolandbaus für die Biovielfalt, den Grundwasser- und Naturschutz transportiert werden", sagt der Leiter des Fachgebiets Ökologischer Land- und Pflanzenbau an der Universität Kassel in Witzenhausen. Längst arbeiten Kommunen in Grundwasserschutzgebieten mit Ökobauern zusammen. "Mir scheint, diesen Aspekt greifen die Medien nicht so auf, wie es notwendig wäre, weil sie offenbar glauben, dass sie die Verbraucher damit nicht so gut erreichen können - anders als bei den Pestiziden", sagt Heß. Hinzu kommt ein generelles Vermittlungsproblem in einer Zeit, da nur noch wenige Menschen selber Erfahrung mit dem Anbau von Lebensmitteln haben. Auch wenn die Umwelt- und Anbauverbände das ganze Bild vermitteln, dringen sie damit in den Medien, auf knappem Raum und bei kurzer Sendezeit, nicht durch. "Man kann Ökolandbau nicht in zwei Sätzen erklären", sagt Elmar Seck, Sprecher des Bundesprogramms Ökologischer Landbau bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn. Dass der Gesundheitsaspekt im Vordergrund steht, ist auch für den Agrarwissenschaftler kein Wunder. "Das ist ein Megathema, ein Megatrend."

HintergrundBio-Zertikate garantierten, "dass Öko-Lebensmittel keine Pestizide enthalten", sagt Urs Niggli vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau. Andere Qualitätseigenschaften - etwa ein besserer Geschmack, höhere Anteile von gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen - könnten zwar in vielen Bioprodukten nachgewiesen werden. "Aber wir finden in Einzelfällen auch das Gegenteil", so Niggli. Für die Qualität ist auch der Erzeuger maßgeblich. Niggli: "Ein schlecht ausgebildeter Bio-Bauer liefert im Einzelfall schlechtere Äpfel als ein guter konventionell arbeitender Landwirt." ws

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort