Wie sich die Linke lustvoll selbst zerlegt

Berlin. Gregor Gysi gab sich gestern kleinlaut: "Die Chemie stimmt zum Teil nicht." Er wisse, "dass welche sauer waren, aber ich weiß auch, dass sich das schnell beruhigt". Der erste Satz ist stark untertrieben. Unter den Linken herrscht offene Feindschaft. Der zweite Satz beschwört eine Hoffnung, die sich kaum erfüllen dürfte

Berlin. Gregor Gysi gab sich gestern kleinlaut: "Die Chemie stimmt zum Teil nicht." Er wisse, "dass welche sauer waren, aber ich weiß auch, dass sich das schnell beruhigt". Der erste Satz ist stark untertrieben. Unter den Linken herrscht offene Feindschaft. Der zweite Satz beschwört eine Hoffnung, die sich kaum erfüllen dürfte. Denn Gysis Truppe ist dabei, sich selbst zu zerlegen.Am Dienstagabend hat es heftig gekracht in der Bundestagsfraktion. Es gab Beschimpfungen, Abgeordnete verließen empört den Saal, Türen knallten. Und Fraktionschef Gysi ist daran nicht unschuldig. Seit die Antisemitismus-Debatte über die Partei hereingebrochen ist, versucht der letzte verbliebene Partei-Star die Dinge mit Beschlüssen zu ordnen. Erreicht hat er eher das Gegenteil. In der Fraktion regen sich Zweifel an seiner Führungsfähigkeit. Gysi wolle es allen Kräften recht machen, anstatt klare Kante zu zeigen, heißt es.

Begonnen hatte das Drama mit einer Studie, nach der Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit bei den Linken zunähmen. Partei-Spitzen sprachen von "Blödsinn". Doch die Beispiele in der Studie sprechen für sich. So hatte der nordrhein-westfälische Linke Hermann Dierkes über den Nahost-Konflikt gesagt: Jeder könne "durch den Boykott von israelischen Waren dazu beitragen, dass der Druck für eine andere Politik verstärkt wird". Die Bundestagsabgeordnete Ingrid Höger trat in Wuppertal mit einem Schal auf, der die Landkarte der Region zeigte - ohne Israel. Höger war es auch, die im Vorjahr mit ihrer Kollegin Annette Groth bei der Gaza-Flottille dabei war, hinter der israel-feindliche Organisationen stecken.

Vor diesem Hintergrund hatte Gysi Anfang Juni eine Beschlussvorlage in der Fraktion durchgedrückt, wonach sich Linke "weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte, noch an der diesjährigen Fahrt einer Gaza-Flottille beteiligen" sollen. Schon damals machte das Wort "Maulkorbbeschluss" die Runde. Am Dienstag nun schob Gysi eine Beschlussvorlage nach, die sich gegen eine Diffamierung jeder Israel-Kritik als antisemitisch ausspricht. Das wurde von den Pragmatikern als überflüssig kritisiert. Dahinter steckt auch die Vermutung, dass Gysi die extremen Linken wieder einfangen wollte. Aus dem Lager der Realos gab es deshalb sechs Gegenstimmen und zehn Enthaltungen.

Zum Eklat kam es, als mehrere Abgeordnete ihr Abstimmungsverhalten begründeten. Dem Vernehmen nach griff Parteichef Klaus Ernst dabei den sächsischen Parlamentarier Michael Leutert scharf an. Leutert hatte den Vorsitzenden aus Bayern zuvor öffentlich attackiert. Offenbar als Retourkutsche hielt Ernst dem Kollegen vor, er solle erst einmal seine "Lebensleistung" hinterfragen. Spätestens hier wurde die Debatte zum Ost-West-Konflikt. Zahlreiche Realos aus den neuen Ländern verließen entrüstet den Saal. Ernst soll sich später entschuldigt haben.

Trotzdem bleiben Verletzungen zurück. Zumal schon frühere innerparteiliche Debatten in persönlichen Beleidigungen gipfelten. Selbst eingefleischte Realos aus dem Osten, die mit Ex-Parteichef Oskar Lafontaine nie etwas am Hut hatten, wünschen sich den Saarländer inzwischen als starken Mann zurück. Lafontaine lehnte gestern jede Äußerung zu den jüngsten Vorgängen ab.

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