Die kühle Kanzlerin

Meinung · Es ist schon ein Kreuz mit dieser Kanzlerin. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt, und trotzdem fällt es schwer, Angela Merkel auf dem Weg in ihre Sommerpause zu laut zu loben. Das liegt nicht allein an den zahlreichen Kehrtwenden in den vergangenen Monaten

Es ist schon ein Kreuz mit dieser Kanzlerin. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt, und trotzdem fällt es schwer, Angela Merkel auf dem Weg in ihre Sommerpause zu laut zu loben. Das liegt nicht allein an den zahlreichen Kehrtwenden in den vergangenen Monaten. Auch Politiker müssen Haltung und Meinung ändern dürfen - erst recht, wenn sich die Welt rasanter dreht, als es in Parteiprogramme oder Koalitionsverträge einfließen kann. Nein, Merkel macht es den Beobachtern deswegen schwer, weil sie so kühl und nüchtern über ihre Politik spricht, weil sie ihre Absichten nicht enthüllt. Auch bei der gestrigen Pressekonferenz war das so.Diese Kanzlerin wirkt weitgehend leidenschaftslos. Außer vielleicht, die Nationalmannschaft schießt ein Tor. Oder man begegnet ihr im kleinen Kreis, dann ist Merkel einnehmend, unprätentiös und überzeugend. Im Schaufenster jedoch betreibt sie Politik wie eine Physikerin im Labor. Beseelt von der Hoffnung, dass sich die Dinge dann schon ordnen werden. Wer führt, muss aber beherzter für das eintreten, was er für richtig hält. Mitunter bis zur Selbstaufgabe. Sogar Gerhard Schröder hatte diese inhaltliche Leidenschaft. Er entdeckte sie zwar erst spät, verteidigte sie aber mit der Agenda 2010 bis hin zum Amtsverlust. Von Helmut Kohl, dem leidenschaftlichen Europäer, ganz zu schweigen.

Richtig ist: Angela Merkel hat für ihre Energiewende geworben. Aber nicht wirklich überzeugend und irgendwie holzschnittartig. Politik plätschert bei dieser Kanzlerin dahin. Die Debatte um deutsche Panzerlieferungen an Saudi-Arabien ließ sie einfach laufen, ohne erklärend einzugreifen. Die Steuersenkungen wurden von der FDP durch die Hintertür verkündet, ohne dass die Kanzlerin auf eine schwarz-gelbe Sprachregelung gedrängt hätte. Und kaum in der Welt, wurde das Projekt konsequent von der Koalition zerredet. Souveränität sieht anders aus.

Und dann der Euro: Statt Gestalterin und Krisenmanagerin des brüchigen Europa zu sein, wurde die Krise vor allem dank Merkel von Gipfel zu Gipfel geschoben, ohne dass die Menschen das Gefühl hatten, eine Lösung sei in Sicht. Jetzt wurde zwar ein Durchbruch und damit mehr Sicherheit erreicht. Dennoch: Erst hieß es, Griechenland benötige keine Hilfe, dann flossen die ersten Milliarden. Als Merkel den Bürgern noch weismachen wollte, Athen sei ein Einzelfall, standen Irland, Portugal und Spanien schon in Wartestellung, um unter den Rettungsschirm zu schlüpfen. Was die CDU-Chefin mit Europa anstellen will? Man weiß es nicht.

Merkel macht nun Sommerurlaub, sie hat ihn dringend nötig. Bleibt die Hoffnung, dass sie von der Pause inspiriert wird - und in der zweiten Halbzeit mehr Dynamik zeigt als bisher.

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