"Den Fuß vom Gas nehmen"

Das saarländische Umweltministerium begründet seine strengen Verordnungsentwürfe für die Natura 2000-Flächen mit dem sogenannten "Verschlechterungsverbot". Was hat es mit dem ominösen Begriff auf sich? Giesen: Das Wort ist eine Erfindung der Politik, um einen komplexen Sachverhalt zu vereinfachen

 Grundstücke wie dieses bei Mandelbachtal-Bebelsheim sollen künftig Natura-2000-Schutzgebiet werden. Foto: Dietze

Grundstücke wie dieses bei Mandelbachtal-Bebelsheim sollen künftig Natura-2000-Schutzgebiet werden. Foto: Dietze

Das saarländische Umweltministerium begründet seine strengen Verordnungsentwürfe für die Natura 2000-Flächen mit dem sogenannten "Verschlechterungsverbot". Was hat es mit dem ominösen Begriff auf sich?

Giesen: Das Wort ist eine Erfindung der Politik, um einen komplexen Sachverhalt zu vereinfachen. Tatsächlich haben die Natura 2000-Richtlinien Rechtsfolgen, die sich um den Begriff "erhebliche Beeinträchtigung" drehen. Das Problem besteht darin, dass der Begriff der Erheblichkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, der im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen ist.

Das heißt, die Politik hat bei der Ausgestaltung der Verordnungen einen Ermessensspielraum? Nichts zwingt sie, "erheblich" so zu definieren, wie sie es in den Fällen im Saarland getan hat?

Giesen: So ist es, Juristen würden allerdings von einem Beurteilungsspielraum sprechen. Und diese Beurteilungen sind oft politisch gefärbt. Die grundlegenden Erhaltungsziele sind ja bereits in der Gebietsmeldung festgelegt.

Betroffene im Saarland erwägen derzeit eine Normenkontrollklage, also eine Klage gegen die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens der Gebietsmeldungen. Das Argument: Da man nicht rechtzeitig von der Meldung in Kenntnis gesetzt wurde, habe man nicht bei der EU dagegen klagen können. Hat so ein Verfahren Aussicht auf Erfolg?

Giesen: Das Problem ist: Sie müssen als Kläger bereits in ihren Rechten verletzt worden sein. Wenn Sie zum Beispiel der Meinung sind, ein Blitzer auf der Straße sei nicht richtig geeicht, können Sie nur klagen, wenn Sie bereits geblitzt wurden. Dieser Grundsatz stand früheren Klagen gegen die Meldung entgegen. Ein Normenkontrollantrag heute hat aus meiner Sicht Aussicht auf Erfolg, wenn Sie nachweisen können, dass die Nutzungseinschränkung nicht auf das Erhaltungsziel rückführbar ist. Die Schwierigkeit: Sie müssen nachweisen, dass das Verbot das Erhaltungsziel verfehlt, oder gar, dass das Gebiet nicht schutzwürdig ist. Ich will nicht ausschließen, dass dies im Einzelfall erfolgreich sein kann.

Der Protest richtet sich auch gegen die Form der Kommunikation der Politik. Eigentümer haben zum Teil erst nach Jahren durch die Veröffentlichungen in den Amtsblättern von den Plänen erfahren oder wissen immer noch nichts von ihrem Glück. Ist das ein korrektes Vorgehen?

Giesen: Es ist zumindest üblich. Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 werden aber derzeit die Praxis der Verfahren und damit letztlich auch solche Formen nur formaler Bekanntmachung kritisch diskutiert. Da setzt auch die Kritik unseres Arbeitskreises Eigentum und Naturschutz an. In besonnenen Gesprächen zeigt sich oft, dass die beiden Positionen gar nicht so weit auseinander liegen. Naturschutz wurde lange Zeit über Verbote durchgesetzt. Stattdessen sollten Eigentümer dafür belohnt werden. Im Einzelfall sind viele Gestaltungen möglich. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen übrigens auch ohne finanzielle Überbelastungen der Haushalte.

Was raten Sie den beiden Seiten?

Giesen: Beide Seiten sollten den Fuß vom Gas nehmen, eine Symboldiskussion vermeiden und stattdessen offene inhaltliche Gespräche führen. Eine Anwendung des Ordnungsrechts sollte vermieden, auf einseitig hoheitliche Instrumente verzichtet werden. Konsensualer Naturschutz dagegen funktioniert gut, weil die Betroffenen mitgenommen werden.

Wäre das Abschließen von Verträgen, wie in anderen Bundesländern üblich, eine gute Alternative zur saarländischen Praxis der Verordnungen?

Giesen: Naturschutz per Verordnung ist veraltet und immer abhängig von der politischen Färbung der Verwaltungsspitze. Gegen den Vertragsnaturschutz wird oft ins Feld geführt, man könne unmöglich Verträge mit jedem einzelnen Betroffenen schließen. Das ist richtig, aber eine hohe Flächendeckung mit guten Verträgen ist mehr wert als eine 100-prozentige Deckung per Verordnung, wenn die Leute warten bis die Dämmerung eintritt und dann die Motorsäge auspacken.

Wann bleibt den Betroffenen nur noch die Möglichkeit der Fundamentalopposition?

Giesen: Nur, wenn die Verwaltung keine substanziellen Zugeständnisse macht. Wenn die Diskussion zum Symbolstreit wird. Es wird oft verkannt, wie groß der politische Schaden ist, der so erwächst. Naturschutz gerät in Verruf und die Politiker wundern sich, warum sie den Begriff bei der Bevölkerung nicht mehr in den Mund nehmen können. Bedauerlich ist auch, dass hier eine Schattendiskussion geführt wird. Angesichts der drängenden Klima- und Energiefragen ist die Frage, ob die Wiesen in Hintertupfingen im Juni oder im Juli gemäht werden, lächerlich.

Hintergrund

Mit der Ausweisung der Natura 2000-Gebiete setzt das Saarland EU-Vorgaben um. Ziel des Programms ist ein europaweites Gebiets-Netz, in dem gefährdete Pflanzen- und Tierarten geschützt werden. Als 2006 die letzten der 127 saarländischen Natura 2000-Schutzgebiete nach Brüssel gemeldet wurden, ließ das saarländische Umweltministerium - damals noch unter CDU-Führung - verlauten, die Nutzung der Flächen sei weiterhin möglich wie bisher. Die Verordnungsentwürfe des mittlerweile von den Grünen geführten Ministeriums sehen dagegen starke Einschränkungen vor. Es gelte das Verschlechterungsverbot, so das Ministerium. Alle Handlungen, die einen negativen Einfluss auf das Schutzziel haben könnten, seien verboten.

Im Mandelbachtal kämpft eine Interessensgemeinschaft gegen die Verordnung. Protestiert wird auch in Nohfelden, Holz und Gersheim. In Mettlach-Faha sehen sich Landwirte in ihrer Existenz bedroht. Sie prüfen eine Normenkontrollklage. Das Umweltministerium hat hier für den 20. Mai Gespräche mit den Betroffenen angekündigt. jkl

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