Expertin warnt vor Scheitern der Inklusion

Der Ruf von Eltern, Verbänden und Opposition nach einer besseren Ausstattung saarländischer Regelschulen mit sonderpädagogischen Fachkräften wird lauter. Ist diese Klage berechtigt?Hoffmann: Wir haben hier in der Tat große Defizite

Der Ruf von Eltern, Verbänden und Opposition nach einer besseren Ausstattung saarländischer Regelschulen mit sonderpädagogischen Fachkräften wird lauter. Ist diese Klage berechtigt?

Hoffmann: Wir haben hier in der Tat große Defizite. Ich würde mir wünschen, dass man für die Förderbereiche Lernen, Sprache und Erziehungshilfe - also für jene Kinder, die keine Behinderung im eigentlichen Sinne haben - eine sonderpädagogische Grundversorgung an jeder Regelschule gewährleistet. In städtischen Ballungszentren könnte das etwa eine Förderschullehrkraft pro Jahrgang, auf dem Land eine für die ganze Schule sein. Im Gegenzug sollte man die Förderschulen für diese Bereiche verkleinern oder auslaufen lassen.

Und was soll mit schwerbehinderten Kindern in den Förderbereichen geistige Entwicklung, Hören, Sehen und körperliche/motorische Entwicklung passieren?

Hoffmann: Hier muss es ein zusätzliches Förderkontingent pro Schüler geben. Möglich wären auch Schwerpunktschulen für bestimmte Behinderungen, die zum Beispiel Gebärdensprache als Fach für alle anbieten.

Wie funktioniert zur Zeit die Zuweisung von Förderstunden für behinderte Kinder an Regelschulen - also jener Stunden, in denen neben dem Regelschullehrer auch ein Sonderpädagoge da ist?

Hoffmann: Da wird schlicht der Mangel verwaltet. Es gibt leider bisher keinen Erlass darüber, was behinderten Kindern an Regelschulen zusteht. Die Stundenzuweisung liegt daher sogar unter dem Satz, den behinderte Kinder an Förderschulen haben. Dort ist immerhin für Kinder mit einer geistigen Behinderung eine Schüler-Lehrer-Relation von 4:1 vorgeschrieben. Derzeit erhält ein geistig behindertes Kind in der Regelschule aber nur vier bis sechs Förderstunden pro Woche. Das ist wahnsinnig wenig. Das andere decken Integrationshelfer ohne sonderpädagogische Ausbildung ab. Wenn sich da nichts ändert, fährt man das ganze Thema Inklusion an die Wand.

Wie sollten Regelschulen mit geistig oder mehrfachbehinderten Kindern ausgestattet sein?

Hoffmann: Wenn in einer Klasse ein mehrfachbehindertes Kind oder mehrere mit einer geistigen Behinderung sind, macht eine Doppelbesetzung sicher Sinn. Das bedeutet, es müsste neben dem Regelschullehrer ständig eine sonderpädagogische Fachkraft da sein.

Aber wo wollen Sie die ganzen Förderschullehrer hernehmen? Es gibt doch schlicht zu wenige.

Hoffmann: Diese Fachkraft muss ja nicht ein Förderschullehrer sein. Es könnte auch ein Erzieher mit einer sonderpädagogischen Qualifikation oder ein Heilerziehungspfleger sein. Im Übrigen gibt es auch leichtere Behinderungsformen, bei denen man weniger Förderstunden benötigt. Bei einem leicht hörbehinderten Kind reichen in der Regel zwei Wochenstunden aus. Da geht es eher um die Beratung des Regelschullehrers.

Glauben Sie, dass die Regelschulen die Herausforderung der Inklusion bereits erkannt haben?

Hoffmann: Im Moment beobachte ich, dass sich einige Regelschulen eher wegducken. Ich meine, wir sollten inklusionserfahrene Lehrkräfte bei der Vergabe von Leitungspositionen stärker berücksichtigen und eventuell auch über eine Fortbildungspflicht nachdenken.

Ist nicht auch eine Qualitätskontrolle der inklusiven Bildung an saarländischen Schulen nötig?

Hoffmann: Unbedingt. Bisher wurde der Einsatz von Sonderpädagogen nicht evaluiert. Das sollte aber gemacht werden. Wir haben am Landesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM) nun über 20 Inklusionsberater ausgebildet, die die Schulen begleiten sollen.

Wie sieht es denn an den weiterführenden Schulen gegenwärtig in Sachen Inklusion aus?

Hoffmann: Ich finde die Konzepte gut, die im Bildungsministerium für die Grundschulen diskutiert werden. Allerdings sollte man bedenken, dass Kinder in der Regel nicht nach der Grundschulzeit sterben. Die Gemeinschaftsschule eröffnet große Chancen für die inklusive Bildung. Man muss diese Chancen aber auch offensiv nutzen.Foto: GEW

Zur Person

Ilka Hoffmann ist im LPM, das dem Bildungsministerium untersteht, für inklusive Bildung und sonderpädagogische Fortbildung zuständig. Sie ist zugleich Bundesfachgruppenvorsitzende der GEW für sonderpädagogische Berufe und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landesarbeitsgemeinschaft Bildung. nof

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