„Eine Art von Stimmungsmache“

Ein Großteil der Diskussionen rund um das Thema Inklusion beschäftigt sich mit der Umsetzung der UN-Konvention in den Schulen und Klassensälen. Wie die Inklusionstheorie in der Praxis funktioniert, darüber hat sich SZ-Redakteur Johannes Schleuning mit Ilse Blug, Geschäftsführerin des Vereins „Miteinander Leben Lernen“ (MLL) unterhalten.

Lehrer-, Schüler- und Elternvertretungen im Saarland begrüßen alle nach eigenen Angaben die Inklusion, nahezu ebenso einhellig kritisieren sie aber deren Umsetzung als übereilt und unzureichend personalisiert. Teilen Sie diese Einschätzung?

Blug: Wir sehen eigentlich nicht, dass die Inklusion im Saarland einhellig begrüßt wird. Wir haben vielmehr den Eindruck, dass das Recht behinderter Kinder auf eine Beschulung in einer Regelschule von einigen Verbänden und Interessensvertretungen grundsätzlich in Frage gestellt wird. Wir beobachten eine Art von Stimmungsmache, die an die "Grabenkämpfe" der Anfangszeit der Integration erinnert. Von einer "Überstrapazierung von Toleranz und Empathie" ist da die Rede oder von "Abstrichen in der Unterrichtsqualität". Es wird behauptet, dass die Inklusion zum Nachteil nicht-behinderter Kinder gereiche, weil Lehrer sich überproportional mit behinderten Kindern beschäftigen müssten. Es gibt jedoch keine einzige Studie, die diese Behauptung belegen könnte. Im Gegenteil: Belegt ist, dass nicht-behinderte Kinder in Integrationsklassen mehr soziale Kompetenz gewinnen und mindestens ebenso viel lernen wie in Klassen, in denen es keine Integration gibt.

Halten Sie denn die geplante personelle Ausstattung für den inklusiven Unterricht für ausreichend?

Blug: So, wie sie im Gesetzentwurf des Bildungsministeriums skizziert ist, sicher nicht. Uns drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass die unzureichende Ausstattung als Argument zur Beibehaltung des Status quo benutzt wird. In Bezug auf die Inklusion geht es dagegen nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Denn die UN-Behindertenrechtskonvention ist ratifiziert und damit geltendes Recht. Ein Lösungsansatz für das Personaldilemma wäre etwa die allmähliche Umverteilung von Personal vom Förder- auf das Regelschulsystem. Wir sehen in der Personalfrage allerdings nicht das vorrangige Problem.

Sondern?

Blug: Es geht um die grundsätzliche Haltung, behinderten und benachteiligten Kindern sowie Kindern ohne Behinderung und sozialer Benachteiligung die Chance zu geben, miteinander zu lernen. Die Integration an Regelschulen ist im Saarländischen Schulordnungsgesetz seit 1986 vorgesehen. Es gibt im Saarland viele Schulen, die sich seither auf den Weg gemacht haben und ein gemeinsames Lernen erfolgreich praktizieren. Aber es gibt auch viele Schulen, die das eben nicht gemacht haben. Jetzt so zu tun, als sei der Integrationsauftrag vom Himmel gefallen, ist nicht redlich. Zudem gibt es inzwischen Angebote, die Schulen auf dem Weg zur Umsetzung der Inklusion unterstützen.

Zum Beispiel?

Blug: Das Bildungsministerium hat sogenannte Inklusionsberater installiert, deren Aufgabe es ist, Lehrer zu beraten und sie bei konkreten Fragestellungen zu unterstützen. Auch im Bildungsministerium gibt es Ansprechpartner sowohl für Schulen als auch für Eltern, und das Landesinstitut für Pädagogik und Medien bietet Fortbildungen für Lehrer und zur Schulentwicklung an. Wichtig ist in der jetzigen Situation, nach Umsetzungswegen zu suchen und nicht nach Gründen, die Inklusion abzulehnen oder zu verzögern.

Zum Thema:

Auf einen BlickDer Verein Miteinander Leben Lernen (MLL) mit Sitz in Saarbrücken wurde 1984 von Eltern und Pädagogen gegründet, hat heute fast 400 Mitglieder und noch einmal knapp 400 Pädagogen, Integrationshelfer und Verwaltungsangestellte als Mitarbeiter.Ziel des Vereins ist die Förderung des gemeinsamen Lebens und Lernens von Menschen mit und ohne Behinderung. Der Verein versteht sich als saarlandweiter Ansprechpartner für Eltern, Behörden und Institutionen. jos

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