Doppelblick auf den Krieg

Gravelotte · Es ist ein Haus von nationalem Rang, mit internationalem Anspruch und mit einer herausfordernden Architektur: das „Museum des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 und der Annexionszeit“. Es soll eine neuartige deutsch-französische Erinnerungskultur begründen. Übermorgen ist Eröffnung.

 Herausfordernd für die ländliche Umgebung: das „Museum des Krieges und der Annexion“ in Gravelotte. Foto: Conseil Général

Herausfordernd für die ländliche Umgebung: das „Museum des Krieges und der Annexion“ in Gravelotte. Foto: Conseil Général

Foto: Conseil Général

Das Restaurant "Au Cheval Blanc" wird aufrüsten müssen. Das zeigte sich bereits am letzten März-Wochenende, als rund 40 Historiker aus aller Welt in dieser einzigen größeren Gaststätte im Dorf einkehrten. Ein Kolloquium über die Verflechtungen zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg brachte die Wissenschaftler in die ländliche, verschlafene Idylle des Metzer Umlandes. Dorthin, wo die Feldwege gespickt sind mit preußischen Gedenkmonumenten und Soldatenfriedhöfen.

Gravelotte soll sich jedoch nicht nur in ein hochrangiges Ausflugsziel für (Militär-)Touristen entwickeln, sondern ein identitätsstiftender Ort für die Einwohner des Departements Moselle werden, ein Museum der Regionalgeschichte. Und weil die deutsch-französisch geprägt ist, wird sie - so lautet das Versprechen - aus zwei nationalen Perspektiven betrachtet und konsequent zweisprachig präsentiert.

"Wir sind kein Militärmuseum, sondern ein Museum, das die Erinnerungskultur hinterfragt. Wir zeigen große Geschichte aus lokaler Sicht und analysieren Sichtweisen auf den Deutsch-Französischen Krieg", sagt Kurator Eric Necker. 20 000 Besucher im ersten Jahr, das wäre ein schöner Erfolg, meint er. Übermorgen, zur Eröffnung, wird schon mal Hochbetrieb herrschen, werden schwarze Staatskarossen aus Paris, Saarbrücken und Metz an der Dorfstraße Spalier parken. Es gilt, ein Museum von nationalem Rang einzuweihen, das freilich nur vier wissenschaftliche Mitarbeiter hat.

Zwölf Millionen Euro hat der expressionistische Bau gekostet, der wie ein aus dem Himmel gestürzter, mit Metall ummantelter Fremd- und Sprengkörper (Architekt: Bruno Mader) am Dorfeingang thront. Direkt gegenüber liegt ein authentischer Gedenkort, ein Soldatenfriedhof, wo sich die Verluste der Pommerschen Ulanen- oder Litauischen Dragoner-Regimenter nachrechnen lassen. Die Franzosen sind dort in Massengräbern beerdigt. Am 16. August fielen im nahe gelegenen Mars la Tour insgesamt über 30 000 Soldaten. Bereits 1875 gründete ein lothringisches Ehepaar ein Kriegsmuseum für die Fundstücke der Schlachtfelder.

Der Deutsch-Französische Krieg gilt als der erste "moderne" Massenvernichtungskrieg: 400 000 Soldaten kämpften auf der Seite des deutschen Kaisers, 250 000 auf der Napoleons III. Der bezog in der Nacht vom 15. auf den 16. August in Gravelotte Quartier, in einem heute putzig anmutenden Häuschen. Der Kaiserbesuch spielte kurz vor der französischen Kapitulation im September, die die nationale Schmach der "provinces perdus", der verlorenen Provinzen Elsass und Lothringen, nach sich zog. Der verletzte Stolz der Grande Nation und die Entrüstung über die "Germanisierung" im annektierten Reichsland Elsass-Lothringen waren für den Krieg 1914/1918 ein treibender Faktor.

Es ist dies ein Grund dafür, warum auch der Cambridge-Professor Christopher Clark unter den Kolloquiumsgästen in Gravelotte war - der derzeit wohl berühmteste Erste-Weltkriegs-Forscher ("Die Schlafwandler"). Er gehört sogar dem Museums-Beirat an.

Was motiviert ihn dazu? "Gravelotte ist ein Pionier-Projekt", sagt er im Gespräch mit der SZ. "Wir problematisieren erstmals Erinnerung und zeigen, dass Geschichte lebendig ist und bleibt durch eine Forschung und Geschichtsschreibung, die sich ständig wandelt." Ob die "Szenografie", die Präsentation der rund 6000 Exponate, dem Clarkschen Anspruch gerecht werden wird? Ab 18. April lässt sich das überprüfen.

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