Der Dauer-Kampf der Diabetes-Kinder

Saarbrücken. "Es ist zum Verzweifeln", sagt Jürgen Peter Weigt und meint damit nicht die Diagnose an sich: "Diabetes melitus Typ 1, ihr Kind hat eine lebenslange unheilbare Krankheit." Wird ein Patient nicht optimal eingestellt, drohen komatöse Zustände, Nieren- und Herzversagen, Erblinden oder gar Fuß-Amputationen

Saarbrücken. "Es ist zum Verzweifeln", sagt Jürgen Peter Weigt und meint damit nicht die Diagnose an sich: "Diabetes melitus Typ 1, ihr Kind hat eine lebenslange unheilbare Krankheit." Wird ein Patient nicht optimal eingestellt, drohen komatöse Zustände, Nieren- und Herzversagen, Erblinden oder gar Fuß-Amputationen. Nein, der erste Vorsitzende des Diabetes Netzwerkes Saar meint den Dauer-Kampf der Eltern mit Vertragsärzten, Diabetologen und Sachbearbeitern der Krankenkassen um die ihrer Meinung nach beste Therapie, genauer um die Gewährung von Insulinpumpen. Denn: "Pumpen verursachen weniger Schmerzen und sind alltagstauglicher als herkömmliche Behandlungsmethoden", so Weigt. Er verweist auf das Aufsehen, das das Spritzen in Schule und Öffentlichkeit erzeuge. Auch müssten die Kinder keine Spritzen mehr mit sich herumtragen.Bei Diabetikern produziert der Körper kein Insulin. Es muss täglich bis zu sechs Mal zugeführt werden. Jede Mahlzeit, jedes Eis, jeder Keks wird berechnet und durch die richtige Dosis "unschädlich" gemacht. Auch bei der Pumpen-Therapie. Bei den Kleinen, die keine Zahlen lesen können, übernehmen das die Eltern. Selbst nachts wird zwei Mal gespritzt oder die Pumpe nachgestellt. Doch deren Katheter wird nur alle zwei Tage gewechselt. Das macht rund 183 Stiche pro Jahr, 2190 sind es mit der konventionellen Spritzen-Therapie. Hinzu kommen in beiden Fällen 2600 Finger-Piekser für den Blutzuckertest. Letztere sind für Anne Erbacher (5) überhaupt kein Problem: "Die mache ich gerne, hunderttausend Mal", ruft sie fröhlich. Doch das Spritzen in den Oberschenkel, das nach ihrer Diagnose zunächst praktiziert wurde, "das wollte ich nicht mehr." Anne formuliert dies derart unkindlich-resolut, dass die Beunruhigung ihrer Eltern nachvollziehbar ist.

In der Warteschleife

Denn was ist, wenn die Krankenkasse die Pumpentherapie ablehnt? Die Familie wartet derzeit auf den Bescheid der IKK, ob Anne die Pumpe behalten darf. Sie ist noch in der Testphase. Die Familie schildert einen Hindernislauf. Denn die Kassen gewähren Hilfsmittel nach dem Kriterium der "Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit". Die Erbachers müssen quasi beweisen, dass durch die Pumpe eine bessere Blutzuckereinstellung garantiert ist. Der Medizinische Dienst wurde von der IKK eingeschaltet, lehnte bereits die Testphase ab, nach Auskunft der Erbachers lediglich "nach Aktenlage".

Das Verfahren wird sich wiederholen. Alle vier Jahre, wenn wegen Verschleißes eine neue Pumpe notwendig wird. "Das ist für die Kinder eine Bedrohung und für die Eltern ein Riesendruck", sagt Weigt. Die Pumpe koste 3600 Euro, für die Katheter fielen rund 300 Euro im Monat an. Zu teuer? Die Barmer GFK meint das Gegenteil. Sie hat entschieden, bei Kindern unter 12 Jahren ohne MDK zu verfahren. "Ein gut eingestellter Diabetiker ist der günstigste Patient für uns", sagt der bei der Kasse für Hilfsmittel zuständige Sachbearbeiter. Doch mit diesem unkomplizierten Vorgehen steht die Barmer GFK nach Einschätzung der Elterninitiative für Diabetes-Kinder allein. Jörg Erbacher sagt: "Wenn eine solche schlimme Diagnose kommt, erwartet man sich von der Kasse Unterstützung. Stattdessen muss man Widerspruch einlegen, man hat Ärger und Zoff." Die Erbachers ließen sich jedoch nicht entmutigen, zwischenzeitlich gibt es positive Signale der IKK, dass es wohl doch noch klappt mit Annes Pumpe. Trotzdem: ein Nervenkrieg. Aus Sicht der Elterninitiative ist er repräsentativ. "Der Medizinische Dienst im Saarland lehnt Insulinpumpen überdurchschnittlich häufig ab", lautet denn auch der Vorwurf. Belegen kann Weigt die These nicht. Für den MDK widerspricht denn auch Dr. Anja Hünnighausen. Sie legt Zahlen aus dem Jahr 2011 vor: 33 Prozent der Insulinpumpen-Begutachtungen für Kinder unter 18 Jahre seien positiv beschieden worden, 47 Prozent nicht, der Rest befände sich in der Schwebe.

Die Ärztin sieht die "unsagbare Belastung" der Familien, will jedoch Alltagserleichterung und Lebensqualität-Steigerung nicht als Kriterium anerkennen. Der MDK sei strengen Gesetzen verpflichtet, so Hünnighausen. Und Spielräume? Die liegen wohl tatsächlich bei den Kassen. Sie können laut Hilfsmittel-Richtlinie den MDK beauftragen, müssen es aber nicht.

Hintergrund

Krankenkassen finanzieren eine Insulinpumpen-Therapie nur dann, wenn der Stoffwechsel mit einer konventionellen Spritzen-Therapie nicht optimal einstellbar ist, es also durch die Pumpe zu verbesserten Werten kommt. Sie beauftragen in der Regel den MDK mit einem Gutachten. Dafür müssen die Patienten umfassende Dokumentationen bereitstellen, unter anderem ein Blutzuckertagebuch führen (tägliche Blutzuckerwerte, Insulindosis, jede Mahlzeit in Kohlehydrateinheiten, Infektionen, körperliche Anstrengungen). Befürwortet der MDK die Pumpen-Therapie, folgt eine viermonatige Test-Phase. ce

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