Starkult mit Charakterköpfen

St. Johann. Wen es als Abziehbildchen gibt, der hat es geschafft. Jedenfalls ist das im Fußball so. Es gibt Menschen, die essen seit Wochen Hanuta und Duplo in fast gesundheitsgefährdenden Mengen, weil da Fußballer-Abziehbildchen drin sind, die sie - angeblich - ihren Kinder mit nach Hause bringen

St. Johann. Wen es als Abziehbildchen gibt, der hat es geschafft. Jedenfalls ist das im Fußball so. Es gibt Menschen, die essen seit Wochen Hanuta und Duplo in fast gesundheitsgefährdenden Mengen, weil da Fußballer-Abziehbildchen drin sind, die sie - angeblich - ihren Kinder mit nach Hause bringen. Andere geben ein kleines Vermögen aus, um ihre Panini-Bildchensammlung endlich komplett zu kriegen. Die Lust am Sammeln und das Bedürfnis nach Menschen, die man gerne abzieht und aufklebt, befriedigen ab sofort auch Stefan "Ede" Grenner und Ralf Leis. Leis ist seit sieben Jahren Macher des Viertelvor-Heftes. Grenner dessen beliebtester Cartoonist. Was die beiden mit ihrer Redaktion jetzt ausgekaspert haben, ist eine kleine Revolution: Die Viertelvor-Fangemeinde soll Geld bezahlen. Die elfte Ausgabe des Szeneheftes aus dem Nauwieser Viertel ist zwar wie die zehn Ausgaben vorher kostenlos zu haben. Im Heft gibt es aber zwölf weiße Flecken. Wer die füllen will, muss sich in Viertel-Läden Sammelbildchen mit Viertel-Stars besorgen.Nein, sagt Ralf Leis, das große Geschäft werde das nicht. 50 Cent kostet die Tüte mit vier Bildchen. Wenn alles gut läuft, deckt der Verkauf die Ausgaben. Und wenn es noch besser läuft, werden im Viertel bald Abziehbildchen getauscht. Nicht die mit Lahm, Neuer oder Müller, sondern mit - ja mit wem eigentlich? Immerhin, so viel verrät Ralf Leis schonmal: Theker, Verkäuferinnen, Kellner, Leute, deren Beruf es zu sein scheint, in den Cafés rumzusitzen - das sind die Stars im Viertelvor. Und Mohsen Ramazani Moghaddam. "Den kenne im Viertel alle nur als de Mossem. Das ist für die meisten der, der wie in Zeitlupe durchs Viertel radelt und mit dem Bingert zu tun hat. Dass der einen Doktortitel hat, weiß kaum jemand", sagt Leis. "Es wird zunehmend unpolitisch hier", hat Leis festgestellt, auch deshalb sei es ihm wichtig, "solche Leute zu Wort kommen zu lassen". Denn eins ist Mohsen Ramazani Moghaddam sicher nicht: unpolitisch.Fällig sei auch das Theater im Viertel gewesen. Und über Friseure, die sich im Viertel noch schneller zu vermehren scheinen, als in der Reststadt, musste auch unbedingt was rein ins Viertelvor. Dass sich die "Puffmutter" der Nauwieser Straße 10 von sich aus gemeldet hat, weil sie unbedingt mal reinwollte ins Heft, hat Leis besonders gefreut, zeige es doch, was für eine Institution das Heft im Viertel inzwischen ist.Erfunden hat es Leis mit Freunden 2003 als "kulturellen Beitrag" zum Nauwieser Fest. Er hatte "das Gefühl, dass es zum normalen Straßenfest, zum Sauf- und Fressfest wird", erinnert er sich. Dass er damit potenzielle Kunden auf sich als - inzwischen etablierter - Grafikdesigner aufmerksam machen konnte, sei ein gewünschter Nebeneffekt gewesen.Er habe ja gedacht, dass er "alles abgegrast, alle Geschichten erzählt" hätte, sagt Ralf Leis. Aber dann entpuppt sich das Viertel immer wieder als unerschöpfliche Quelle. Und dann gibt es wieder ein Viertelvor, und wieder eins - zu jedem Nauwieser Fest.

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