Manchmal gibt es mehr als eine Sonne

Letzte Woche gab's Zeugnisse. In der Grundschule ist da ja meist recht erfreulich. Mein Zeugnis aus der zweiten Klasse sorgt bei meinem Vater aber für Unmut. An den Noten lag das damals noch nicht. Nein, er ärgerte sich über die Kopfzeile: Maria stand da, ohne J, einfach nur Maria. Den Flüchtigkeitsfehler nahm er meiner Lehrerin krumm. Ich nicht

Letzte Woche gab's Zeugnisse. In der Grundschule ist da ja meist recht erfreulich. Mein Zeugnis aus der zweiten Klasse sorgt bei meinem Vater aber für Unmut. An den Noten lag das damals noch nicht. Nein, er ärgerte sich über die Kopfzeile: Maria stand da, ohne J, einfach nur Maria. Den Flüchtigkeitsfehler nahm er meiner Lehrerin krumm. Ich nicht. Warum? Ich wollte sein wie alle, keine Kroatin, deren Vorname schon verrät, dass man die Sommerferien an der Adria verbringen würde.Damals schrieb ich meinen Freundinnen noch Postkarten aus dem Urlaub. Ich unterschrieb mit Maria. Den I-Punkt malte ich als Sonne. Eine zweite Sonne auf dem J hätte nur gestört, befand ich. Außerdem gibt es ja nur eine Sonne, dachte ich damals. Vor ein paar Tagen lernte ich im MehrGenerationenHaus in der Ursulinenstraße 22 eine ältere Dame kennen. Wir unterhielten uns eine ganze Weile. Dabei erzählte sie mir, dass sie Spanisch lernt, und das seit über 28 Jahren!

Der Grund sei ihre Schwägerin. Ihr Bruder heiratete vor über 30 Jahren eine Spanierin, die sich in Saarbrücken zwar von Anfang an wohlfühlte, aber auch ihre Heimat vermisste. So sei sie auf die Idee gekommen, die Sprache ihrer Schwägerin zu lernen. Auch nach 28 Jahren lernt man nicht aus, sagte die Seniorin und ihre freundlichen Augen strahlten wie zwei kleine Sonnen. Außerdem sei ihre Schwägerin ja immer noch Spanierin, bemerkte sie, und deshalb werde sie nie aufhören, sich für sie und ihre Sprache zu interessieren. Ich habe mich schon lange nicht mehr so blendend unterhalten. Aus einer Seniorin wurde im Laufe des Mittags eine Señorita, und nach fast 30 Jahren begriff ich, was meinen Vater gestört hatte: das Desinteresse meiner Lehrerin.

Sie wissen, wo man in Saarbrücken Señoritas trifft? Dann schreiben Sie mir doch bitte eine Mail, und zwar an die Adresse marija.herceg@gmx.de.

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