"Ein Hahn gehört auf den Bauernhof, aber nicht in ein Wohngebiet"

SZ: Was haben denn physikalische Klänge mit Psychologie zu tun?Brigitte Schulte-Fortkamp: Eine ganze Menge. Jeder Mensch versteht jeden Klang anders. Das hat auch damit zu tun, wie man lebt, was man liebt an Klängen und mit welchen Geräuschen man groß geworden ist.SZ: In einem Interview haben sie einmal den Begriff der "akustischen Heimat" gebraucht

SZ: Was haben denn physikalische Klänge mit Psychologie zu tun?Brigitte Schulte-Fortkamp: Eine ganze Menge. Jeder Mensch versteht jeden Klang anders. Das hat auch damit zu tun, wie man lebt, was man liebt an Klängen und mit welchen Geräuschen man groß geworden ist.

SZ: In einem Interview haben sie einmal den Begriff der "akustischen Heimat" gebraucht. Was ist das, und wie finde ich meine?

Schulte-Fortkamp: Man muss überlegen, was man sofort im Kopf hat, was an Akustik da ist, wenn man zum Beispiel an seinen Wohnort denkt. Akustische Heimat bedeutet, dass es bestimmte Klänge und Geräusche gibt, die man mit dieser Wohn- oder Lebensumgebung immer zusammen sieht beziehungsweise hört. Auch wenn man nicht da ist. In Berlin gibt es viele Kieze, wo die Menschen ganz bestimmte Geräusche mögen. Zum Beispiel wird in einem besonders häufig geboßelt. Das erzeugt besondere Geräusche, sodass sich die Leute zuhause fühlen. Wenn ich zum Beispiel von einer Reise zurückkehre, dann spüre ich sofort diese ganz bestimmte Atmosphäre dieser Stadt, die klingt anders als zum Beispiel Hamburg.

SZ: Wie kommt es, dass plötzlich ein Geräusch wie das Krähen eines Hahnes als negativ empfunden wird, aber der laute Straßenverkehr vor der Haustür nicht?

Schulte-Fortkamp: Das hängt a) davon ab "mag ich Hähne?". Und b) weiß ich nie, wann der Hahn kräht. Bei bestimmten Geräuschen weiß man genau, wann sie auftauchen, und man stellt sich darauf ein. Dann kann man unter Umständen damit umgehen. Aber so ein Hahnkrähen ist unter Umständen sehr laut und passt ja auch nicht überall hin. Zum Beispiel in einem urbanen Wohngebiet wird es sehr störend sein. Ein Hahn gehört wohl eher auf den Bauernhof, weniger in ein Wohngebiet. Auch, weil er in seinen Verlautbarungen so unberechenbar ist. Anders als Hunde, die man trainieren kann, ruhig zu sein.

SZ: Das heißt, wenn ein Hahn nebenan kräht, dann habe ich keine Möglichkeit, mich darauf irgendwie einzustellen.

Schulte-Fortkamp: Genau. Der kräht einfach los, und man will ihn nicht hören. Dann kommt vielleicht noch hinzu, dass der Hahn vielleicht angeschafft wurde, ohne dass man vorher darüber gesprochen hat. Ein Hahnbesitzer zum Beispiel sollte vorher eine einvernehmliche Verabredung darüber schaffen, dass er sich einen Hahn anschafft, mit den Nachbarn sprechen, warum er dies tut, bei einer Schule zum Beispiel, um die Kinder an eine natürliche Umgebung heranzuführen. Wenn das aber nicht verhandelt, sondern einfach Fakt wird, dann ist das eine völlig unnötige Schallquelle.

SZ: Warum macht ein Hahn in der Stadt Probleme?

Schulte-Fortkamp: Es ist wichtig, dass Geräusche zu der Umgebung passen, dort erwartbar sind. Sonst werden sie zu einer, wir nennen das in der Akustik "Supercomposition". Das heißt, Geräusche, die für sich schön sein können, zum Beispiel das Krähen eines Hahnes und das Verkehrsrauschen an einer stark befahrenen Straße. Jedes hat für sich seine Charakteristika und ist unter Umständen akzeptabel. Wenn aber beide Geräusche zusammenkommen, bestimmte Frequenzen nicht harmonieren, dann kann das unangenehm und unharmonisch werden.

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