640 Schritte zum Sammlerglück

Regionalverband · Mit zittrigen Fingern Tütchen aufreißen und sich unbändig freuen, wenn keines der Bildchen doppelt ist – zwei Monate vor der Fußball-Weltmeisterschaft haben die Fans mit dem Sammeln der Sticker begonnen. 640 verschiedene Motive wollen erworben oder eingetauscht sein. Die meisten sammeln heißblütig, andere rückwärts gewandt.

 Die perfekten Tauschpartner für Panini-Sammelbildchen sind für Sarah Sersch Kinder: Für die Polizeioberkommissarin sind die Sticker die richtige Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft im Juni in Brasilien. Fotos: Becker&Bredel

Die perfekten Tauschpartner für Panini-Sammelbildchen sind für Sarah Sersch Kinder: Für die Polizeioberkommissarin sind die Sticker die richtige Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft im Juni in Brasilien. Fotos: Becker&Bredel

 Stephan Kramp aus Völklingen ist ebenfalls der Sammelleidenschaft verfallen.

Stephan Kramp aus Völklingen ist ebenfalls der Sammelleidenschaft verfallen.

Herrlich, diese Bildchen, diese grimmigen Minen, nach vorn gereckten Kinnpartien und leicht verunglückten Frisuren und Dreitagebärte! Sarah Sersch, Oberkommissarin bei der Polizei in Burbach, hat vor zwei Wochen, wie wohl tausende weitere Saarländer, wieder mit dem Sammeln der neuen WM-Sticker, den sogannten Paninibildchen, begonnen. Für die 31-jährige Beamtin, die selbst gern gegen den Ball tritt, ist es eine stimmige Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft im Juni und Juli in Brasilien: "Man befasst sich schon früh mit den Mannschaften und verfolgt mit Spannung, ob die Spieler auf den Bildern tasächlich auch nominiert sind."

640 selbstklebende Bildchen, die in Tütchen zu fünf Stück verkauft werden, wollen gesammelt und in das Heft an die dafür vorgesehenen Plätze eingefügt sein. Die italienische Panini-Gruppe ist der "offizielle" Sticker-Lieferant des Weltfußballverbandes Fifa und gibt auch die Alben heraus. Sie zu füllen, geht schwer ins Geld. Wer das unwahrscheinliche Glück hat und kaum Bilder doppelt erwischt, kommt mit etwa 70 Euro hin. Aber die Wundertüten spucken ständig doppelte aus. Der Sammler ist aufs Tauschen angewiesen, will er nicht hunderte Euro ausgeben, um die letzten fehlenden Aufkleber zu erwischen. Immerhin: Die letzten 50 Bilder kann er gezielt und gegen Aufpreis beim Verlag bestellen. Es gibt Gerüchte, wonach in Großpackungen und an bestimmten Verkaufsstellen besonders selten Dopplungen vorkommen. Andere Gerüchte besagen aber leider das Gegenteil.

Sarah Sersch kauft mal hier, mal dort, an der Tankstelle und beim Bäcker - und sie tauscht im Bekanntenkreis, vor allem mit Kindern. Buben von zehn oder zwölf (die auch in der TV-Werbung von Panini die Hauptrolle spielen) seien die besten Kunden, vor allem in Begleitung großzügiger Großmütter, weiß Arno Zapper, der in Völklingen einen Zeitschriftenladen betreibt. Verkäuferin Loretta Dühr von "Smoking"-Tabakwaren in der Saarbrücker Bahnhofstraße berichtet, dass die Sammler aus allen Schichten kämen; darunter seien auch Menschen, die sich sonst wenig aus Fußball machten. Eine Frau habe neulich unter Lachen berichtet, dass ihr Mann sie für verrückt erkläre, wenn er von ihrer Bilder-Leidenschaft wüsste. Manche Menschen berauschen sich offenkundig allein an dem Sammlerglück, das Album nach und nach komplettieren zu können. Der Hauptbahnhofskiosk in Saarbrücken, nach Auskunft von Panini Deutschland mutmaßlich die "stärkste" Verkaufsstelle im Saarland, beobachtet seit dem Verkaufsstart Ende März in der Tat einen "sehr ordentlichen Absatz", der mit nahender WM noch anziehe. Das Geschäft sei lukrativ für den Einzelhandel. Eltern kauften größere Packungen auf Vorrat, um die Kinder daraus bei Gelegenheiten zu belohnen. Kiosk-Chef Thomas Bergmann rät übrigens Sammlern, die auf langfristige Wertsteigerung erpicht sind, die Aufbewahrung leerer Hefte in bestem Zustand und nicht geöffneter Bildchentüten - was aber ein anderes Sammeln wäre, kein schwärmerisches, sondern ein kalkuliertes. Und es kann Jahrzehnte dauern, bis sich Investitionen rechnen.

Das Fußballbildchen-Wesen stürmt natürlich auch in die Schulen und lässt auch schon einmal Bildungsziele in die zweite Reihe treten. Ralf Petermann, Rektor der Grundschule Pater Eberschweiler in Püttlingen, geht aber entspannt mit dem Phänomen um: "Die Kinder wissen, dass die Sticker im Unterricht nichts zu suchen haben. Wenn ich sie erwische, kündige ich Entzug an: Pack sie weg, denn ich sammle selber!", schmunzelt der Schulleiter. Das wirke. In den Pausen sei das Betrachten und Tauschen geduldet.

Der wohl erfahrenste und "größte" Panini-Bildersammler aus dem Saarland ist der Homburger Harald Klingel. Der 46-Jährige, der bei der Bahn in Saarbrücken arbeitet, hatte bei der WM 2006 als Heißblüter begonnen und trägt das Material - volle Alben, leere Alben, beides aus diversen Ländern, Einzelbilder sowie komplette Bildersätze - inzwischen abgeklärter zusammen, das heißt gern auch durch Käufe großer Mengen im Internet (Ebay und klebebilchen.net) oder auf Tauschbörsen. Sein Rat: Wenn die Fußball-Ereignisse vorbei sind, sinken die Preise. Wer sparen will, sammelt also rückwirkend, jetzt die EM 2012 und nächstes Jahr die WM 2014. Der Reiz des Augenblicks geht dabei natürlich verloren. Trotz einer gewissen Geschäftigkeit im Sammeln, ist aber auch bei Harald Klingel "die Faszination geblieben, es kribbelt immer noch", versichert er. Das Schönste ist halt immer noch das Aufreißen des 60-Cent-Tütchens, aus dem dann fünf Bilder purzeln, die man noch nicht hat und die man sofort einklebt.

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