„Wir brauchen keine Fast-Food-Bildung“

In vielen Bundesländern wackelt das Turbo-Abitur (G 8). Die Gewerkschaften fordern jetzt, eine Reform bundesweit abzuwickeln. Mit der stellvertretenden DGB-Vorsitzende Elke Hannack sprach SZ-Korrespondent Hagen Strauß.

Frau Hannack, das Turbo-Abi steht in vielen Bundesländern zur Disposition, Niedersachsen schafft es ganz ab. Ist das der richtige Weg?

Hannack: Das Turbo-Abi ist ein Musterbeispiel für eine verkorkste Bildungsreform. Anstatt die Lehrpläne zu entschlacken, wurde der Stoff von neun Schuljahren schlicht in acht Jahre gestaucht. Den Schülern bleibt kaum noch Zeit für ein Leben neben der Schule. Der Leistungsdruck nimmt zu, viele Kinder leiden unter Migräne oder gar Burn-Out. Weil der Stoff vor allem in die Mittelstufe gepresst wurde, ist der Wechsel von der Real- oder Mittelschule ans Gymnasium kaum noch möglich. Die Gymnasien wurden durch das Turbo-Abi weiter abgeschottet. Diese Reform muss jetzt abgewickelt werden.

Aber es gab gute Gründe für G8. Vor allem die Wirtschaft hat gedrängt, angesichts internationaler Konkurrenz Ausbildungszeiten zu verkürzen.

Hannack: Immer jünger, immer schneller - das kann doch nicht das Motto unseres Bildungssystems sein! Die Jugendlichen sollen in der Schule nicht für die Karriereleiter konditioniert werden. Sie sollen sich auch als Persönlichkeiten entwickeln können. Wir brauchen keine Fast-Food-Bildung. Weder in der Schule noch an den Hochschulen oder in der Berufsausbildung.

Sie fordern bundesweit die Rückkehr zum Abi nach neun Jahren?

Hannack: Ja. Auf jeden Fall sollte man den Jugendlichen mehr Zeit lassen. Sie brauchen Raum für Freizeit, für andere Interessen - ohne den ständigen Blick auf die nächsten Prüfungen. Ich finde es gut, wenn Gesamtschulen und Gymnasien das Abitur nach 13 Schuljahren anbieten.

Und was ist mit den Schulen, die das nicht wollen?

Hannack: Dort wo Gymnasien wirklich das Turbo-Abitur beibehalten wollen, geht dies nur, wenn die Lehrpläne kräftig entrümpelt werden. Zudem können solche Schulen nur als gute Ganztagsschulen funktionieren.

Neun Jahre bis zum Abitur bedeuten aber auch längere Zeiten an Hochschulen.

Hannack: Es gibt auch einen Turbo-Bachelor. Da wurden ganze Diplom-Studiengänge in einen sechssemestrigen Studiengang gepresst. Viele Hochschulen haben den Fehler erkannt und bieten den Bachelor nun auch nach acht Semestern an.

Verstärkt weniger Tempo bei der Berufsbildung nicht den Fachkräftemangel?

Hannack: Nein. Völlig sinnlos sind zweijährige Schmalspurausbildungen, die vor allem leistungsschwache Azubis absolvieren. Eine gute Berufsausbildung braucht mindestens drei Jahre. Nur so werden die Azubis gut auf eine immer komplexer werdende Arbeitswelt vorbereitet. Kurzausbildungen führen in den meisten Fällen direkt in den Niedriglohnbereich. Wir sollten sie abschaffen.

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