Blutige Gewalt in Ostukraine

Slawjansk · Nach der Annexion der Krim durch Russland spitzt sich nun die Lage im Osten der Ukraine zu. Kiew wirft Moskau offen „Aggression“ vor und setzt erstmals Spezialkräfte ein.

Nach blutigen Zusammenstößen in der Ostukraine hat Übergangspräsident Alexander Turtschinow die prorussischen Separatisten ultimativ zur Aufgabe aufgefordert. Nur wer bis Montagmorgen die Waffen niederlege und die besetzten Verwaltungsgebäude verlasse, werde strafrechtlich nicht belangt, sagte Turtschinow gestern in Kiew. Zugleich drohte er mit einem "groß angelegten Anti-Terror-Einsatz" unter Beteiligung der Streitkräfte, um die Unruhen im Osten des Landes zu beenden. Nach Angaben des Präsidialamtsleiters Sergej Paschinski gilt das Ultimatum bis 9 Uhr Ortszeit (8 Uhr MESZ).

Russland warnte die prowestliche Regierung in Kiew nachdrücklich vor einem Militäreinsatz gegen die Separatisten. Moskau sei "empört über den verbrecherischen Befehl" von Turtschinow, der die Proteste von der Armee niederschlagen lassen wolle, teilte das Außenamt mit. Russland trete dafür ein, die Krise von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und dem Weltsicherheitsrat untersuchen zu lassen. "Gerade vom Westen hängt es jetzt ab, einen Bürgerkrieg in der Ukraine zu vermeiden."

Bei einem "Anti-Terror-Einsatz" gegen prorussische Separatisten in der Stadt Slawjansk waren gestern nach Regierungsangaben mehrere Menschen getötet und verletzt worden. Die Aktivisten hätten ohne Vorwarnung das Feuer auf die Regierungskräfte eröffnet, sagte Innenminister Arsen Awakow. Erstmals hatte die prowestliche Führung in Kiew das Vorrücken von Spezialeinheiten befohlen, nachdem bewaffnete Gruppen mehrere Verwaltungsgebäude besetzt hatten.

Augenzeugen zufolge stand Rauch über der Stadt - die Demonstranten hätten Barrikaden aus Autoreifen angezündet, hieß es. Schützenpanzer der Regierungseinheiten versperrten Zufahrten. Über der Stadt mit mehr als 100 000 Einwohnern kreisten Militärhubschrauber. Das ukrainische Fernsehen berichtete am Abend, Slawjansk sei von prorussischen "Selbstverteidigungskräften" abgeriegelt. Die Bewaffneten hätten die Stadt weitgehend unter Kontrolle, von Regierungskräften sei nichts zu sehen.

Auch in der ostukrainischen Stadt Charkow wurden bei Zusammenstößen von Gegnern und Anhängern einer Annäherung an Russland etwa 50 Menschen verletzt. Rund 1000 prorussische Demonstranten seien unter anderem mit Sowjet-Fahnen durch das Zentrum der Stadt marschiert und mit mehreren hundert prowestlichen Aktivisten aneinandergeraten.

Die Nato forderte Moskau zur Beruhigung der Lage auf. "Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine", erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Ähnlich äußerte sich UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Die USA drohten Russland mit weiteren Konsequenzen, sollte es keine Schritte zur Deeskalation unternehmen. In Moskau protestierten Tausende Demonstranten gegen die Ukraine-Politik Putins. An der erlaubten Kundgebung nahmen auch zahlreiche prominente Publizisten teil.

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HintergrundAngesichts der Spannungen und gewalttätigen Zusammenstöße im Osten der Ukraine hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) an Russland appelliert, das geplante Vierer-Treffen zur Ukraine nicht platzen zu lassen. Die Lage sei "so zugespitzt, dass diejenigen, die Verantwortung tragen in Ost und West, jetzt zusammenkommen müssen, um Schlimmeres zu verhindern", sagte Steinmeier gestern im "Bericht aus Berlin" (ARD). Am Donnerstag wollen die USA, Russland, die Ukraine und die Europäische Union in Genf erstmals direkt miteinander beraten. Ziel sei zunächst "Deeskalation", sagte Steinmeier. afp

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